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INTERVIEW/034: Nachspiel Studiengebühren - verlorenes Wissen, verfallenes Können ...    Rainer Korsen im Gespräch (SB)


Kommerz frißt Filmkunst

Prozeß gegen Studiengebühren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg am 9. Februar 2016


R. Korsen - lächelnd - in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Rainer Korsen
Foto: © 2016 by Schattenblick

Für bundesweites Aufsehen sorgte die Boykottbewegung gegen Studiengebühren, wie sie an vielen Universitäten Hamburgs wie auch nahezu aller anderen Bundesländer wie aus dem Nichts empor schoß. Das Bestreben der Bildungspolitik, der mit der Einführung des sogenannten Master/Bachelor-Systems längst vollzogenen neoliberal-funktionalen Transformation der Hochschulbildung durch die massive finanzielle Zusatzbelastung der Studierenden und der damit zwangsläufig einhergehenden sozialen Ausgrenzung auch noch die Krone aufzusetzen, ist zumindest vorläufig gescheitert. Wiewohl die Studiengebühren zurückgenommen werden mußten, ist "die Kuh nicht vom Eis" nicht zuletzt deshalb, weil gegen einzelne Aktive der Boykottbewegung nach wie vor versucht wird, die keineswegs unerheblichen inzwischen aufgelaufenen Forderungen einzutreiben, so als ginge es darum, ein für allemal ein Exempel zu statuieren, wie viele Beteiligte befürchten.

Vor dem Verwaltungsgericht Hamburg fand am 9. Februar eine öffentliche Verhandlung in Sachen Gebührenboykott statt. Eine ehemalige Studierende der Hochschule für bildende Künste, die sich seinerzeit aktiv an den Protesten beteiligt hatte und hochschulpolitisch aktiv gewesen war, wollte nichts unversucht lassen, um gerichtlich klären zu lassen, daß, so ihre Auffassung, die gegen sie erhobenen Zahlungsaufforderungen illegitim sind und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. In der Begründung ihrer Klage hatte sie auch darauf hingewiesen, daß sich während ihres Studiums an der HfbK die konkreten Arbeitsbedingungen gerade in der Zeit, in der für das Studium bezahlt werden sollte, sehr verschlechtert hätten.

Rainer Korsen, inzwischen pensionierter künstlerischer Werkstattleiter für Elektronik an der HfbK, konnte dies im Grundsatz wie im Detail bestätigen. Im Anschluß an die Verhandlung vor dem Hamburger Verwaltungsgericht hatte er sich bereit erklärt, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Schattenblick (SB): In der heutigen Verhandlung wurde auch die Verschlechterung der Studienbedingungen in bestimmten Bereichen an der HfbK angesprochen. Sie waren dort lange Zeit als Leiter der Elektronikwerkstatt tätig. Wie ist Ihre Sicht und Kenntnis der Dinge?

Rainer Korsen (RK): Zu den negativen Bedingungen, die gerade diese Jahrgänge getroffen haben, sind vor allem der große Umzug und Umbau zu nennen. Ohne Not mußten wir das Gebäude in der Averhoff-Straße verlassen, weil es hieß, es gäbe den Mediencampus Finkenau. Nur war dieser eine Großbaustelle. Wir durften erst einmal in die erste Etage ziehen. Das wurde dann so halb hergerichtet, und kaum war dieser Umzug bewältigt und der Betrieb in Gang gekommen, mußten wir in die endgültigen Räume in den Keller umziehen. Das hat natürlich, weil das Filmtechnik war, Riesenprobleme verursacht. Alleine ein Kino richtig einzurichten, ist an einem Tag nicht zu schaffen, man kann nicht einfach einen Projektor auf einen wackligen Tisch stellen. Aber unter solchen Bedingungen wurde dann studiert.

Die Professoren haben sich auch nicht so richtig wehren können. Da gab es zu der Zeit einen Generationenwechsel. Das hieß, die Alten gingen gerade in Pensionierung und sagten: Ja gut, was sollen wir jetzt noch machen? Und die Neuen kannten das alles ja nicht anders. Professorenstellen sind begehrt, und dann frißt man auch die eine oder andere Kröte. Das war also sehr schwierig. Und unser "Gegner" - in Anführungsstrichen - war die Sprinkenhof-AG, die in Hamburg Liegenschaften verwaltet, während die anderen Gebäude unsere eigenen sind.

Nach dem Globalhaushalt gehört uns auch diese Liegenschaft und wir dürfen sie voll nutzen. Wir sind keine Mieter bzw. ist es so, daß man dort Mieter ist, aber ohne Mietgeld zu zahlen, weil es ein Umbau war. Man hat dann aber nur ganz geringe Rechte. Wenn man also einen Hausmeister um etwas bittet und sagt, da geht was nicht, dauert das Monate. Es hat, glaube ich, zwei Monate gebraucht, bis ich einen Fahrstuhlschlüssel bekam. Um schwere Geräte mit dem ehemaligen Betten-Fahrstuhl rauf und runter fahren zu können, mußte ich mir einen Schlüssel gegen Personalausweis abholen. Also nichts als Unsinn, nur Schwierigkeiten, und unsere Hochschulleitung hat sich da auch fein rausgehalten und gesagt: Naja, regelt das mal.

SB: Wie hat sich das denn für die Studierenden bemerkbar gemacht?

RK: Da waren die Studenten gerade mitten im Hauptstudium, und das ist natürlich sehr unangenehm. Die Leute, die eben nicht reiche Eltern und zu Hause schon so einen teuren PC hatten, auf dem ein Schnitt-Programm fuhr, die also auf die Hochschulgeräte angewiesen waren, wie das eigentlich früher für alle der Fall war, die waren dann ziemlich benachteiligt. Früher hatte man keine Schneidetische zu Hause, die kosteten so 80.000 Mark oder 40.000 Euro. So einen Tisch konnte man sich nicht privat leisten, auch wenn Papa viel Geld hatte oder eine Werbefirma. Dann durftest du als Filius nachts an den teuren Geräten herumwuseln, das kann ja sein. Aber das ist, glaube ich, kaum unsere Studentenkundschaft gewesen.

So, und dann gab es diese kleinen Geräte, und wenn dann zu Hause mal 10.000 Euro übrig waren, hatte man einen guten teuren Rechner plus ein nicht geklautes Programm. Da wird man dann schon sehr viel Geld los, und das konnten sich natürlich nicht alle leisten. Früher war das eigentlich nie die Bedingung gewesen, daß man zu Hause seine Geräte stehen hat und dann eher formal eingeschrieben ist. Das wird dann so eine Art virtuelles Studium. Das war das große Problem. Dann hat sich das später auch noch so zurechtgeschüttelt, daß wir vieles von unserer Filmtechnik gar nicht mit rübernehmen konnten, weil die Sprinkenhof sagte: Ja, im Keller dürft ihr zum Beispiel die Filmentwicklungsmachine nicht anschließen, da gibt es gar kein Wasser mehr.

Um die Sanierung billiger zu machen, wurde die Abwasserführung um eine Etage angehoben. Früher war sie unter der Kellersohle, doch das wäre zu teuer gewesen. Jetzt haben sie die Abwasserführung so gemacht, daß das Hochpaterre noch funktioniert. Aber da waren ja die Professorenräume. Im Keller darfst du keine großen Wasserverbraucher haben. Es war schon mühsam, ein Klo und ein Waschbecken für eine Werkstattleiterin durchzusetzen. Es wurde dann eine teure Hebeanlage installiert, aber die konnte die Filmentwicklung nicht bedienen. Das wäre sehr teuer und auch sehr gefahrenanfällig geworden. Wenn die dann ausfällt, während die Entwicklung gerade im Gange ist, läuft der Keller in einer Stunde voll. Und dann kannst du dich entscheiden, so und soviel hundert Meter Film zu versauen, also einfach das Gerät abzuschalten und die Studenten haben ihre Arbeiten verloren, oder den Keller vollaufen zu lassen.

Deswegen durften wir das nicht mehr anschließen, und so kam dann eins zum anderen. Es wurde eigentlich eine Verschlechterung, und durch die Digitalisierung braucht man eigentlich auch keine große Technik mehr. So peu à peu starb diese Technik, die wir da hatten, aus. Die ist aber bei den Künstlern sehr begehrt, weil das eben immer noch ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringt als die digitale Aufnahme und die digitale Bearbeitung.

SB: Gehört denn nicht die Ausbildung an klassischen filmischen Mitteln zum Studium dazu?

RK: Ja. In anderen Bereichen wird das auch so gehandhabt. Wir haben den Bleisatz behalten. Wir haben eine der größten Bleisatzsammlungen jetzt Nordeuropas und sind auch stolz darauf. Auch Blei- und Holzschriften und die entsprechenden Andruckpressen gibt es, sogar einen Heidelberger Tiegel. Das ist alles da, die haben sich die Kulturtechniken von vorgestern aufgehoben. Doch im Film- und Videobereich hat man mit dem heutigen Trend gesungen. Ob das künstlerisch sinnvoll ist, dazu darf ich als Mittelbauleiter ja nichts sagen. Meiner Meinung nach ist es natürlich Quatsch, weil die eigentliche Materialbearbeitung und die Konzentration auf wenige Bilder, eben weil das so ein teures Material ist, das Künstlerische ausmacht, und nicht einfach aufnehmen, aufnehmen, aufnehmen, und nachher hat man Millionen Daten und muß die irgendwie sichten und ordnen. Am besten liegt das alles irgendwo im Schrank auf einem Massenspeicher und niemand guckt es mehr an. Das ist immer die Gefahr, und das wissen die Leute auch.

SB: Ist das denn Ihres Wissens an anderen Hochschulen in Deutschland ähnlich, ist das ein allgemeiner Trend?

RK: Bei dieser Art Ausbildung, wie wir sie hatten, ist Hamburg relativ einzigartig. Wir hatten früh sozusagen visuelle Kommunikation, Dokumentarfilm und -fotographie und so etwas, was immer den Ruch des Angewandten hatte. Diesen Spagat zwischen einer ganz feinen und eher angewandt orientierten Ausbildung haben wir jahrelang ausgehalten mit all den hochschulpolitischen Kämpfen, die es da gab. Nein, es gibt kaum eine Kunsthochschule - nicht jetzt eine Medienhochschule -, die diesen sehr entwickelten Bereich hatte. Es war wirklich ein Alleinstellungsmerkmal der HfbK. Wir hatten auch die entsprechenden Werkstätten im Filmbereich. Eine Video- und Elektronikwerkstatt hatte ich gemacht, ein Kollege die Filmtechnik. Das war schon einzigartig, so daß man auch Industriegeräte, also nicht irgendwelchen Billigkram, ausgeliehen bekam. Man hat also mit Produktionsgeräten gearbeitet wie die großen Sendeanstalten oder auch Filmgesellschaften.

Wir konnten auch auf 35 Millimeter drehen, wenn man sich das Geld für das Material besorgte beziehungsweise erbettelte, wie das früher üblich war. Man konnte bei Firmen Restmaterial erbetteln, das reichte immer noch für einen 20-Minüter für die Ausbildung. Das hatten wir jahrelang so gemacht. Die bieten mir manchmal heute noch an, daß ich 20 Rollen dieses und jenes Material abhole. Ich lehne das jetzt immer ab, weil ich es nicht mehr verwenden kann. Wir waren dann auch vernetzt. Der NDR beispielsweise hat jahrelang für uns die Entwicklungsarbeit umsonst gemacht. Es gab eine entwickelte Filmtechnik, bei der dann ohne Not und ohne Entscheidung in dem Zeitraum, über den wir jetzt reden, einfach unmöglich gemacht wurde, daß sie weiter existiert.

SB: Das ist ja im Grunde eine seltsame Koinzidenz - der Streik, die Auseinandersetzung mit den Studierenden und dann das, wovon Sie jetzt sprechen.

RK (lacht): Man kann das unter Kommerzialisierung eines Studiums zusammenfassen. Die alte Filmtechnik ist aus kommerziellen Gründen nicht mehr wirtschaftlich, auch für große Firmen kaum noch. Für einige wenige, die das immer noch machen, weil sie auf 70 Millimeter drehen müssen wegen ihres Images, gilt das zwar alles nicht, aber für die Ausbildung wird das nicht mehr als sinnvoll erachtet. Das finden wir natürlich schwierig, weil man dadurch eine Kulturtechnik aus der Hand gibt, die genuin auch künstlerische Bearbeitung möglich gemacht hat oder sogar erfordert. Jetzt bestimmen die Ingenieure von Elektronik-Großfirmen, wie das Bild aussieht, denn du kannst damit nichts anderes mehr machen, oder du programmierst selbst. Aber daß wir versuchen, die Programme selber zu schreiben, ist bei uns auch nur rudimentär vorhanden, wir sind keine Informatikhochschule.

Aber auch dafür hatten wir einen Bereich, Telematik hieß der, doch auch der Professor ist ersatzlos nicht mehr da. Das heißt, wir werden immer mehr nur Fertigprogramme, die von anderen für andere Zwecke entwickelt wurden, einkaufen und damit angeblich künstlerisch arbeiten. Das ist jetzt eine fundamentale Medienkritik, die in diesen Zusammenhang eigentlich nicht paßt. Aber diese Entwicklung wurde damit eingeleitet. Wir haben die andere Technik ohne Not ausgehen lassen. Wir hatten drei hochwertige Kameras - Arnold & Richter 16 Millimeter - drehfertig und noch zwei weitere in Teilen. Wir hatten eine 35er und viele dieser Tonaufnahmenmaschinen, die Nagra genannt werden, mit dem Pilotverfahren, um Synchronton zu drehen. Es war alles da, auch die Stative, einfach alles, bis zur Entwicklungsmachine, die jetzt irgendwo in Harburg steht in einer Halle, nur weil man sich vor der Entscheidung drückt, sie zu verschrotten. Das hätten sie dann auch gleich sagen sollen, aber das ging damals politisch nicht. Eine teure Entscheidung will man nicht öffentlich fällen, weil man dann der Buhmann ist. Und jetzt zerfällt das einfach so.

SB: Wie würden Sie denn den möglichen Schaden - vom materiellen Verlust jetzt einmal abgesehen - für die Ausbildung im Filmbereich oder die Kulturförderung insgesamt einschätzen?

RK: Das ist schwierig zu sagen, weil man heute tatsächlich mit den elektronischen Medien gute Filme machen kann und auch die elektronische Bildwiedergabe jetzt langsam besser wird. Der Schaden sozusagen daran, am Bild zu arbeiten, ist allerdings immens. Früher war es so, wenn man mit teurem Material arbeitet, daß man jeden Dreh dreimal vorher überlegt, alles zigmal durchdenkt und auch dramaturgisch bearbeitet, bevor es gedreht wird. Das ist jetzt alles nachgelagert. In der sogenannten post production [2] wird aus Riesenbergen versucht, was zusammenzuschneiden. Vorher hat man ganz gezielt jede Szene gedreht. Es wurden Storyboards gezeichnet, richtig Szene für Szene, Anschluß für Anschluß, alles wurde schriftlich skizziert. Das hatte eine Konzentration zur Folge, die ein elektronisch Drehender heute meistens nicht mehr hat. Es gibt ganz wenige Leute, die auch eine elektronische Kamera wie eine Filmkamera immer nur sekundenweise benutzen. Aber das macht eigentlich keiner mehr so. Da wird draufgedrückt, und dann geht es los. Läuft ja.

SB: Vielen Dank, Herr Korsen, für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Siehe den Bericht über die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Hamburg im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:
BERICHT/040: Nachspiel Studiengebühren - Realitätsabgleich ... (SB)

[2] Als post production - oder auch Post- oder Nachproduktion - werden sämtliche Arbeitsschritte der Nachbearbeitung in der Film-, Fernseh- und Musikproduktion sowie der Fotographie bezeichnet.


Bisherige Beiträge zu der aktuellen Verhandlung in Hamburg im Schattenblick:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:

BERICHT/040: Nachspiel Studiengebühren - Realitätsabgleich ... (SB)
INTERVIEW/033: Nachspiel Studiengebühren - die Mühlen der Justiz ...    Marion Meyer und Joachim Schaller im Gespräch (SB)

Redaktionelle Beiträge aus dem Jahr 2014 zum Boykott der Studiengebühren im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:

BERICHT/032: Gebührenboykott - Strafen und Exempel ... (SB)
INTERVIEW/013: Gebührenboykott - parteiverdrossen, kampfentschlossen ...    Marion Meyer und Martin Klingner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Gebührenboykott - Bildungswert hat keine Münzen ...    Dora Heyenn im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/016: Gebührenboykott - Erst kommt das Fressen ...    Ray Juster und Valentin Gagarin im Gespräch (SB)

29. Februar 2016


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