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BERICHT/036: Suchmaschine - Neue Pfründe ... (2) (SB)


Unbescheidenes Erkenntnisstreben sprengt wissensökonomisches Kalkül

Vom gesellschaftlichen Wert der Ware Information


Im sogenannten kognitiven Kapitalismus werden Informationen nicht nur zum Zwecke der Produktwerbung erhoben, wie das Geschäftsmodell Googles suggeriert, dessen Einkünfte zum allergrößten Teil auf diesem Wege erwirtschaftet werden. Sie dienen dazu, die Verwertbarkeit des Menschen selbst zu steigern, indem die Grenzen seiner Belastbarkeit weiter hinausgetrieben und seine Resistenzen beim Zugriff auf verbliebene Kreativitäts- und Produktivitätsreserven eingeebnet werden. Verwertbar gemacht wird mithin nicht nur die Ware Arbeitskraft, wie in der konventionellen Kapitalismuskritik beschrieben. Die Ressource des sogenannten Humankapitals wird auch in Subjektivierungsprozessen erschlossen, die das Innerste nach außen kehren, indem persönliche Interessen, Wünsche und Hoffnungen an den allgemeinen Notwendigkeiten gesellschaftlicher Funktionalität abgeglichen und verfügbar gemacht werden.

Dabei werden die Ergebnisse kollektiver Intelligenz und kultureller Produktivität analog zur Grundrente, die aus dem Eigentum an Baugrund, Ackerland und Immobilien hervorgeht, informationstechnisch in Wert gesetzt und privatwirtschaftlich angeeignet. Sie werden einem Wertwachstum überantwortet, das auf Eigentums- und Rechtstiteln basiert und damit Lohnarbeit über ihren unternehmerischen Mehrwert hinaus abschöpft. Die vermeintlich "freie Arbeit" der zahllosen Produzentinnen und Produzenten, die die im World Wide Web kursierenden Inhalte schaffen, wird "wissensökonomisch" für eine Kapitalakkumulation erschlossen, deren feudaler Charakter darin besteht, daß ein allgemeines Gut privatem Nutzen unterworfen wird, ohne seinen Erzeugerinnen und Erzeugern einen entsprechenden Gegenwert zu gewähren [1]. So bewirtschaftet der IT-Konzern Google mit Angeboten wie Google Search, Google Books oder Google Scholar die Allmende eines Wissens, das Menschen in Jahrtausenden hervorgebracht haben und das meist durch öffentliche Institutionen wie Universitäten, Kirchen, Bibliotheken und staatliche Verwaltungen archiviert, systematisiert und zugänglich gemacht wurde.

Der von den Google-Begründern Larry Page und Sergey Brin entwickelte und unter dem Namen PageRank zum Patent angemeldete Algorithmus gewichtet die Position von Dokumenten auf den Ergebnislisten der Suchmaschine vor allem anhand der Links, die von dritter Seite her auf diese Inhalte verweisen. Dabei spielt die Popularität der Webseiten, die diese Links schalten, eine wesentliche Rolle bei der Frage danach, ob ein Suchergebnis oben auf der ersten Seite große Sichtbarkeit erhält oder weiter unten aufgrund des üblichen Nutzerverhaltens zusehends unsichtbar wird. Wenn zum Beispiel von großen Presseportalen auf ein Dokument verwiesen wird, ist die Chance, allgemein wahrgenommen zu werden, weit größer, als wenn von einem kleinen Blog aus darauf verlinkt wird. Was im Bereich des E-Commerce über Erfolg und Scheitern ganzer Unternehmen entscheiden kann, ist im Bereich gesellschaftlicher und kultureller Diskurse nicht weniger problematisch.

So resultiert das Gewicht großer Akteure im internationalen Mediengeschäft nicht zuletzt aus dem Kapitaleinsatz, mit dem diese Unternehmen am Markt positioniert werden, was kaum mit der inhaltlichen Relevanz ihrer Produkte für politische und soziale Fragen gleichgesetzt werden kann. Indem das Geschäftsmodell großer Suchmaschinen wie Google darin besteht, die im World Wide Web verfügbaren Informationen anhand von Algorithmen zu hierarchisieren, die wie der PageRank und rund 200 weitere Suchkriterien nicht offengelegt werden, nehmen sie erheblichen Einfluß auf die öffentliche Meinungs- und die politische Willensbildung. Ihre Offenlegung mit dem Argument des manipulativen Mißbrauchs dieser Bewertungsgrundlage zu verweigern erscheint zwar plausibel, doch stellt sich in Anbetracht der großen Bedeutung, die die digitale Wissensverwaltung für die Entwicklung heutiger Gesellschaften hat, die Frage, ob ein privatwirtschaftlicher Akteur überhaupt eine solche Schlüsselstellung menschlicher Entwicklung auf quasimonopolistische Weise okkupieren sollte.

Das Problem betrifft nicht nur die Erkenntnis des Forschers Rob Epstein vom Amerikanischen Institut für Verhaltensforschung und Technologie (AIBRT), daß die Suchmaschine Google erheblichen Einfluß auf Wahlen nehmen kann [2]. Wie die anwachsende Kritik auch in der EU an der Marktmacht Googles und die Forderung nach Offenlegung des Suchalgorithmus belegt, bahnt sich hier ein regelrechter Kulturkampf um die Verwendung allgemein zugänglicher Informationen an. Die Frage, wer über die gesellschaftliche Deutungshoheit gebietet, ist mit liberalen Postulaten höchst unzureichend beantwortet. So geht das Argument Googles, "anders als Zeitung, Radio und Fernsehen entscheidet eine Suchmaschine weder darüber, was publiziert wird, noch kommentiert sie, was richtig oder falsch ist" [3], an der Hierarchisierung der Inhalte gezielt vorbei.

Indem das Ranking auf den Ergebnislisten selbst zu einem Wertmaßstab wird, der bei kommerziellen Angeboten unmittelbar in Euro und Cent zu beziffern ist, bleibt die unterstellte Egalität in der alltäglichen Praxis auch im Bereich politisch und gesellschaftlich relevanter Informationen bloße Theorie. Die von Fürsprechern des Suchmaschinenbetreibers artikulierte Kritik an den Gatekeepern der traditionellen Medien kann ebensowenig verfangen, wird dieses Problem doch längst von Aktivistinnen und Aktivisten aller Art dadurch adressiert, daß sie ihrer Stimme in selbstorganisierten Angeboten wie Indymedia oder diversen elektronischen Publikationen, die sich als Alternativ- oder Gegenmedien verstehen, Gehör verschaffen.

Indem Google das allgemeine Wissen mit AdWords und AdSense bewirtschaftet, nimmt der Suchmaschinenkonzern auch Einfluß auf Form und Inhalt der Angebote. Die Notwendigkeit, bestimmte Begriffe an prominenter Stelle zu plazieren, den Inhalt eines Dokuments für die schnelle Sichtung zu Beginn des Textes zusammenzufassen, innerhalb des Textes viele Links zu setzen oder seine Größe unabhängig von inhaltlichen Erfodernissen generell zu begrenzen, beschränkt sich nicht auf formale Kriterien, sondern unterwirft die Inhalte selbst vermeintlichen Markterfordernissen. Dem in Anbetracht der Überfülle zu erschließender Informationen um sich greifenden Bedürfnis nach schneller Rezeption entspricht Google zusätzlich dadurch, daß der zeitliche Abstand zwischen Suchanfrage und Suchergebnis nicht nur schrumpfen soll, sondern technisch in Richtung auf die Vorwegnahme mutmaßlicher Fragestellungen weiterentwickelt wird.

Damit greift die in Europa und Nordamerika am meisten in Anspruch genommene Suchmaschine in das grundmenschliche Erkenntnisinteresse ein, das mit dem Fragen nicht nur beginnt, sondern erst in der Weiterentwicklung und Präzisierung der Frage seine grundstürzende Wirkung entfaltet. Die immer schneller verfügbare Antwort mag kurzfristige Interessen optimal bedienen und der kognitiven Funktionalität der digitalen Arbeitsgesellschaft adäquat sein. Mit der Zirkelschlüssigkeit kybernetischer Selbstorganisation legitimiert sie aber auch ein neoliberales Gesellschaftsverständnis, laut dem der Mensch kein geschichtliches Wesen mehr zu sein braucht, sondern mit der marktförmigen Regulation seiner Bedürfnisse und Interessen vollständig zufriedengestellt werden kann. Ein unbescheidenes Erkenntnisstreben zu entwickeln, das den Menschen zum kritischen Nachfragen veranlaßt, anstatt ihn als Konsumenten einer Ware namens Information zum funktionalen Element der "Aufmerksamkeitsökonomie" zu degradieren, kann natürlich nicht im Interesse eines darauf errichteten Geschäftsmodells sein. Wer sich nicht durch vordergründige Antworten beschwichtigen oder durch den Signalcharakter kognitiver Reize in Reaktion bringen läßt, der sieht sich früher oder später mit Gewaltverhältnissen konfrontiert, die den Rahmen verfügbarer Antworten sprengen und damit das Vermögen des Gattungswesens zur historischen Grenzüberschreitung freisetzen.

Wissen in Wert zu setzen heißt immer auch, es Menschen vorzuenthalten, die keine bezahlbare Nachfrage repräsentieren. Was der Markt angeblich so optimal regelt, ist die Aufrechterhaltung einer Konkurrenz, die dem ökonomischen Prinzip wertsteigernder Verknappung gemäß von denjenigen mit Verlusten an Freiheit und Lebenssubstanz beglichen wird, die ihr als gesellschaftliche Verlierer unterliegen. Das gilt nicht nur für die Effizienzsteigerung in produktiver Arbeit, die die intensivere Ausbeutung von Lohnabhängigen nicht mit einem Zuwachs an Lebensqualität honoriert, sondern die Möglichkeit, überhaupt noch einen Lebenserwerb zu haben, zum Wert an und für sich erhebt. Das betrifft etwa auch die Preisgabe persönlicher Informationen im Tausch gegen Boni bei Krankenversicherungen, die die persönliche Lebensführung über den Preis regulieren und disziplinieren. Das betrifft schließlich den in vorauseilendem Gehorsam zu erbringenden Beitrag des Marktsubjekts zur gesellschaftlichen Organisation eines permanenten Krisenmanagements, in dem politische und unternehmerische Entscheidungen anhand der jeweiligen Risikoabwägung und nicht der konkreten menschlichen Bedürfnisbefriedigung getroffen werden.

Insofern ist es nicht damit getan, die datenelektronische Wissensverwaltung durch die Offenlegung der Algorithmen zur Indexierung vorhandener Informationen zu demokratisieren. Wo Wissen ein Preisschild hat, wie es in kommerziellen Suchmaschinen der Fall ist, ordnet sich die Vergesellschaftung des Menschen diesem Nutzen nach, anstatt eine klassenlose, die natürlichen Lebensgrundlagen respektierende Zukunft ins Werk zu setzen. Die sogenannte Wissensökonomie des kognitiven Kapitalismus analog zur Aufhebung der privatwirtschaftlichen Verfügungsgewalt über essentielle Güter und Leistungen der Daseinsvorsorge in ein frei verfügbares Gemeingut zu überführen, das das Siegel wirtschaftlichen Nutzens vom Reichtum menschlicher Subjektivität entfernt, hieße eben auch, die Eigentumsfrage ganz materialistisch und nicht nur in bezug auf vermeintlich immaterielle Güter zu stellen.


Fußnoten:

[1] http://matteopasquinelli.com/google-pagerank-algorithm/

[2] http://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Professor-warnt-Google-Algorithmus-kann-Demokratie-gefaehrden-2577764.html

[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Google-Offener-Suchalgorithmus-wuerde-Nutzern-schaden-2580505.html

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24. März 2015


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