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SF-JOURNAL/026: Bücher... Die illustrierte Enzyklopädie von J. Clute (SB)


John Clute: Science Fiction.

Die illustrierte Enzyklopädie


Endlich gibt es sie auch in der deutschen Übersetzung, John Clutes "The Encyclopedia of Science Fiction", die 1979 zuerst erschien und 1994/95, neu überarbeitet, mit Hugo, Locus und Eaton Grand Master Award sowie einem Sonderpreis der British Science Fiction Association ausgezeichnet wurde, ein Standardwerk mit ursprünglich 1370 Seiten, im Englischen mit 102 Co-Autoren, über 6000 Beiträgen (von denen sich etwa 2900 mit Schriftstellern befassen), mit neuen Tendenzen im Genre (z.B. Cyberpunk), neuen Länder-Einträgen (von Albanien bis China), arabischer und schwarzafrikanischer SF und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Im Heyne Gesamtverzeichnis 96/97 wird die deutsche Ausgabe unter "Hardcover Sachbuch" folgendermaßen vorgestellt:

Diese Bild-/Text-Enzyklopädie zeigt in bisher nicht gekannter Anschaulichkeit und Vollständigkeit die ganze Bandbreite der Versuche, unsere Zukunft in der Phantasie auszumalen. Verfaßt von einem der international renommiertesten Kenner der Science Fiction-Szene, ist dieses Buch ein Universum aller zukünftigen Lebens- und Erfahrungswelten, die bislang gedacht worden sind.
(S.194)

Und schließlich stellt sich der Hardcover-Band von Heyne in seinem Umschlag selbst vor: "Ein Nachschlagewerk ohne Beispiel und ein atemberaubendes visuelles Abenteuer zugleich".


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Als ich die Heyne-Ausgabe des englischen Standardwerkes nach so vielen geweckten Erwartungen endlich aufschlug, war ich zunächst enttäuscht. Das Buch machte auf mich den Eindruck eines aufwendigen Renommierbandes mit viel zu großen, etwas wahllos eingefügten Bildern und zu vielen verschiedenen Schriftgrößen auf einer Seite, so daß ich allein durch die so gelobte äußere Form Schwierigkeiten mit der Übersichtlichkeit bekam und kaum eine Gliederung oder Tabelle auf den ersten Blick erfassen konnte.

Aber der Band hat einen unschlagbaren Vorteil: Sein Inhalt ist Science Fiction! - und damit hat er mein ganzes Wohlwollen auf seiner Seite. Im zweiten Griff fand ich mich dann auch fieberhaft wühlend, stöbernd, blätternd, entdeckend, nachschlagend, suchend und zeitvergessen eingefangen, teils von der Illustration (was ich schon immer wissen wollte: Wie sehen die alten Magazine, die Klassiker und die Autoren aus?), teils von der geschichtlichen Darstellung - und bald schon wieder enttäuscht, weil die Inhalte auf den ersten Blick oberflächlich bleiben, in dieser Form nicht über das Allgemeinwissen hinauszugehen scheinen.

Dann griff ich ein drittes Mal zu, als ich ernsthaft mit dem Nachschlagewerk arbeiten wollte - und diesmal war ich angenehm überrascht. Denn auf die großformatigen Seiten paßt bei der überwiegend klein gewählten Schriftgröße eine Fülle von ungeahnten Informationen, die einfach beim oberflächlichen Blättern durch das Netz der Wahrnehmung fallen. Also doch: "Ein Nachschlagewerk ohne Beispiel und ein atemberaubendes visuelles Abenteuer zugleich" und "in nicht gekannter Vollständigkeit".


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John Clute wurde in Kanada geboren und lebt seit 1969 in London. Seit über dreißig Jahren befaßt er sich mit Science Fiction. Die "Encyclopedia of Science Fiction" gehört zu seinen bekanntesten Werken. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Ilgrim Award für herausragende Beiträge zur Science Fiction-Forschung.

Seine Qualifikation und Anerkennung versprechen ein fundiertes Werk. In der deutschen Ausgabe ist jedoch nur eine Auswahl aus dem umfangreichen Themenkatalog des Originals getroffen worden, über die man sich streiten kann. Sie ist sehr auf Amerika ausgerichtet. Ich bedauere, daß kaum deutsche oder afrikanische, arabische, ostasiatische oder russische Autoren und Schriftsteller aus den Balkanländern beziehungsweise neuere Tendenzen von dort berücksichtigt sind.

Die ausgewählten Inhalte tragen eine eindeutige Handschrift: Sorgfalt, Begeisterung und fundierte Stellungnahme zum Genre, ob nun von John Clute oder dem Übersetzer Ronald M. Hahn. Der Aufbau der Heyne-Enzyklopädie ist für den Wunsch nach inhaltlicher Vertiefung geschickt ausgetüftelt, weil er hauptsächlich chronologisch ausgerichtet ist, und zwar mit Hilfe von Zeittafeln in mehrere inhaltliche Ebenen gestaffelt: zunächst die Entwicklung der Zukunftsvisionen (hauptsächlich technisch); dann der historische Kontext, der der Science Fiction zeitgeschichtliche Aspekte gibt; die Geschichte der Magazine; Autorenporträts mit Zeittafeln von 1800 bis 1994; eine Auswahl beliebter Klassiker aller Perioden; und schließlich das SF-Kino; etwas kürzer behandelt das SF-Fernsehen, SF- Comics und graphische Werke. Was mir fehlt, sind SF-Hörspiele, die über 27 Jahre tonangebend waren.

Ist man bereit, nicht nur zu blättern, sondern auch in Ruhe zu lesen, geben Zeittafeln und Autorenporträts eine Menge Informationen und vermitteln das Bewußtsein, daß das Genre nicht um seiner selbst willen existiert, denn "die Science Fiction wird mehr als jedes andere Genre von der Zeit ihrer Entstehung beeinflußt."


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John Clute: Science Fiction.
Die illustrierte Enzyklopädie
Wilhelm Heyne Verlag, München, 1996
1995 by John Clute, Dorling Kindersley, London,
Deutsche Übersetzung Ronald M. Hahn
312 Seiten, ISBN 3-453-11512-0


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Erstveröffentlichung 1997

5. Januar 2007