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BUCHTIP/1216: Der Club der toten Dichter - Fünf große Autoren der Antike in Leben und Werk (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 29.03.2011

Der Club der toten Dichter - Fünf große Autoren der Antike in Leben und Werk


Nicht alle Klassiker zeichnen sich durch "edle Einfalt und stille Größe" aus. Die Dichter der Antike etwa nahmen nur selten ein Blatt vor den Mund. Im Lauf der Jahrhunderte gerieten sie deshalb nicht selten in Vergessenheit oder wurden als zu frivol geschmäht. Der LMU-Altphilologe Professor Niklas Holzberg hat nun eine fünfbändige Reihe zum Abschluss gebracht, in der er Aristophanes, Horaz, Ovid, Vergil und Catull auch einem modernen Publikum in Leben und Werk präsentieren möchte. Holzberg wählt klare Worte, wo es die Vorlage verlangt: Die Derbheit wird nicht zur romantischen Schwärmerei, die Zote kein zarter Liebesseufzer. Catulls Werke etwa gehören wohl zum Obszönsten, was die erotische Literatur der Römer und Griechen zu bieten hat. "Ich knüpfe in meiner Arbeit an eine recht junge Tradition an, die gerade erotische Literatur der Antike in ihrem sozialen Kontext und nicht im Rahmen der heute geltenden Normen erforscht", sagt Holzberg. "Natürlich sind Catulls Verse ausgesprochen zotenhaft - und dadurch erst recht amüsant. Man darf zudem nicht vergessen, dass diese Poesie zur gleichen Zeit in Stil, Metrik, Intertextualität und Stoffbehandlung literarisch höchst anspruchsvoll ist. Die fünf Dichter haben überdauert, weil sie zu uns auch über die Jahrhunderte hinweg als einfache Menschen sprechen." Und dann muss selbst ein Catull in zeitlosem Liebesleid einmal Kreide fressen: "Ich hasse und liebe. Du fragst vielleicht, warum ich das tue./ Weiß nicht, doch dass es geschieht, fühl ich und leide Qual."

Was wollte Aristophanes? Vielen Interpreten gilt als sicher, dass der Komödiendichter - der vor fast 2500 Jahren lebte - in seinen Werken ein tiefsitzendes Missfallen über die Politik der Athener zum Ausdruck bringen wollte. Denn in seinen Stücken ist die Lage im Staat meist so schlecht, dass nur ein "Großer Plan" Rettung zu bringen vermag. Man erinnere sich: In Lysistrate kommt der Peloponnesische Krieg durch einen Liebesstreik der Frauen zum Ende. Im Plutos dagegen gelangen alle Armen zu Wohlhabenheit, weil dem Gott des Reichtums das Augenlicht geschenkt wird - bis dahin war er aufgrund seiner Blindheit mit seinen guten Gaben immer an die falschen Menschen geraten.

"Diese Pläne sind aber völlig realitätsfern, und die Stücke deshalb nicht unbedingt als Kritik am Staat zu verstehen", sagt Holzberg. "Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass die Komödien, soweit wir sie noch besitzen, in erster Linie als Lachen über alles und jeden interpretiert sein wollen. Leider fällt es aber so manchem Gräzisten und Latinisten schwer, bei der Lektüre antiker Texte überhaupt an Lachen zu denken. Aristophanes hat fast 2500 Jahre überdauert und wurde vielfach analysiert und interpretiert. Der Humor als ganz wesentliches Element wurde dabei allerdings zu wenig beachtet."

Der Erfolg des Dichters, dessen Werke auch heute noch aufgeführt werden, ist auf seine literarische Meisterschaft, seine unverblümte Sprache und seinen überzeitlichen Witz zurückzuführen. Denn auch wenn die großen Rettungspläne wenig mit der Realität zu tun haben - schmunzeln lässt sich auch heute noch darüber. Ein anderer Dichter, der im 1. Jahrhundert vor Christus in Rom lebte, ist ebenfalls für seinen beißenden Witz bekannt: Catull ist nichts für zarte Gemüter. Wir wissen kaum etwas von seiner Person, er hat uns aber eine Gedichtsammlung hinterlassen, die die Jahrhunderte überdauert hat. Es ist nur ein schmales Bändchen - das aber auch heute noch für Zündstoff sorgen kann. "Viele seiner Gedichte gehören zum offenkundig Obszönsten der aus dem Altertum überlieferten Erotik", sagt Holzberg. "Damit aber nicht genug: Selbst in den Texten, die auf den ersten Blick harmlos wirken, entdeckt man ständig Wortspiele, die sich auf den Sexualbereich beziehen. Das wiederum macht Catulls Verse sehr amüsant, vorausgesetzt, man kann über Poesie mit ausgesprochen zotenhaften Charakter lachen." Gerade bei Catull verfolgte die Altphilologie lange ein Wunschbild, das sie von diesem Dichter vermitteln wollte. Dafür aber wurden einzelne Texte schlicht ausgeklammert oder für weniger wichtig erklärt. "Altphilologen, die selektierten oder werteten, hatten meist aber auch kein Sensorium für Catulls enorme Fähigkeit, seine Leser zu erheitern", sagt Holzberg. "Ich dagegen finde, dass die Komik eines der wichtigsten Elemente seiner Poesie ist.

Ein weitaus umfangreicheres Werk als Catull hat einer seiner Zeitgenossen hinterlassen, der römische Dichter Horaz, von dem es sogar eigene und fremde Beschreibungen gibt. Dennoch bleibt auch die Person des Quintus Horatius Flaccus seltsam vage. Holzberg nähert sich diesem bedeutenden Dichter der römischen Antike an, indem er sich quasi chronologisch durch dessen Werke liest und dabei interpretiert. "So hätten nämlich auch die Zeitgenossen des Autors dessen Werke erfahren", sagt Holzberg. "Sie mussten eine Papyrusrolle abrollen, also linear lesen." Keine leichte Aufgabe für den Interpreten, gibt es hier doch gleich vier große Werkgruppen zu analysieren: die Satiren, die Epoden, die Oden und die Episteln.

Oft ist nicht entscheidend, was ein Dichter sagt, sondern wie er es sagt. So beruht der Ruhm des bedeutendsten Dichters des antiken Rom unter anderem auf einem Lehrbuch für den Landwirt in Versen und einer Sammlung von Hirtengedichten. Doch Publius Vergilius Maro, genannt Vergil, verfügt über die Gabe, sich in das Denken und Handeln der Männer und Frauen, über die er schreibt, außerordentlich einfühlsam hineinzuversetzen - und dies nirgends mehr als in seinem großen Epos Aeneis, dem Gründungsmythos Roms. "Jeden, der das wahrnimmt, ziehen die Werke Vergils in ihren Bann", sagt Holzberg. "Damit spricht der Dichter sogar über die Entfernung von vielen Jahrhunderten ganz einfach als Mensch zu uns. Und Humor hat er natürlich auch."

Ein Quäntchen Humor war es wohl auch, der dem vierten römischen Dichter im Bunde seine verzweifelte Lage erträglicher machte: Von Augustus in die Verbannung nach Tomi am Schwarzen Meer verbannt, lässt sich Publius Ovidius Naso seiner Stimme nicht berauben: "Jeder beliebige kann mit grausamem Schwert mein Leben beenden/ doch wenn ich erloschen bin, wird dennoch mein Ruhm überleben/ und solange sie, die siegreiche, von ihren sieben Hügeln herab auf den Erdkreis/ weithin blickt, den bezwungenen, Roma, die Stadt des Mars, werde ich gelesen werden." Damit sollte Ovid Recht behalten. Er wird bis heute gelesen und inspiriert dabei vielfach die Künste von der Literatur bis zur Malerei und Musik.

Ein Werk steht dabei im Mittelpunkt und gilt als wohl populärstes Werk antiker Dichtkunst: die Metamorphosen. Rund 250 Sagen, in denen es ausnahmslos um die wundersame Verwandlung ihrer Protagonisten geht, werden hier in über 10.000 Versen erzählt. "In den letzten beiden Jahrtausenden sind mit Sicherheit komplexere oder zeitgeschichtlich relevantere Werke geschrieben worden", sagt Holzberg. "Die Metamorphosen sind aber so gekonnt gemacht, dass sie nach wie vor zu den Klassikern der Weltliteratur gehören." Müsste Holzberg einen Favoriten aus den antiken Werken wählen, wären es wohl die Metamorphosen des Ovid, weswegen er ihnen auch ein eigenes kleines Bändchen gewidmet hat. Selbst Ovid fiel zeitweise als "zu frivol" in Ungnade, um dann immer wieder wie Phoenix aus der Asche zu steigen. "Er hat für das Rom des Kaisers Augustus geschrieben", betont Holzberg. "Dabei ist er aber zeitlos in der Personenschilderung und gerade deshalb so "modern", dass er auch ein heutiges Publikum anspricht. Alle fünf vorgestellten Dichter sprechen mit der Vox humana und bieten dabei zugleich anspruchsvolle poetische Kunst, die zeitlos ist - auch im 21. Jahrhundert. Diese Dichtung stand am Anfang und ist damit besonders innovativ und dabei schlicht. Sie ist elementar und klassisch zugleich." (suwe)

Publikationen:

Aristophanes. Sex und Spott und Politik
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2010, 240 Seiten
ISBN: 978-3-406-60592-5

Horaz. Dichter und Werk
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2009, 240 Seiten
ISBN 978-3-406-57962-2

Ovid. Dichter und Werk
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2006, 220 Seiten
ISBN: 978-3-406-41919-5

Vergil. Dichter und Werk
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2006, 228 Seiten
ISBN 978-3-406-53588-7

Ovids Metamorphosen
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2007, 128 Seiten
ISBN 978-3-406-53621-2

Catull. Der Dichter und sein erotisches Werk
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2002, 228 Seiten
ISBN: 978-3-406-48531-2

Das Gedicht des Catull stammt aus:
"Applaus für Venus. Die schönsten Liebesgedichte der Antike."
Niklas Holzberg
C. H. Beck Verlag, 2004, 173
ISBN 978-3-406-51502-9

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution114


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 29.03.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2011