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BUCHTIP/1158: Der Falke - Taschenkalender für Vogelbeobachter 2009 (SB)


Der Falke - Taschenkalender für Vogelbeobachter 2009


Auch der diesjährige Taschenkalender für Vogelbeobachter des "Falke-Verlags" zeichnet sich wieder aus durch seinen genauen Blick über den Tellerrand menschlicher Belange hinweg auf das, was in der Natur, zu Luft und im Wasser in der Vogelwelt vor sich geht. Mehr als es mancher Städter oder Naturunkundiger vielleicht ahnt, offenbaren sich da im Kleinen die Auswirkungen des Klimawandels: das Verschwinden bestimmter Arten da, wo sie eigentlich zu Hause sind; das Auftauchen sonst scheuer Vögel aufgrund von Nahrungsmangel in dicht von Menschen besiedelten Gegenden wie die von Gerhard Kooiker beschriebene Elstern in der Innenstadt oder die starke Population von Arten, denen hoher Schädlingsbefall oder Baumsterben nützen. Das sind vielfach Phänomene, die früher oder später auch Veränderungen für den Menschen mit sich bringen können.

Für naturinteressierte Laien ebenso wie gestandene Ornithologen gibt es in diesem Taschenbuch aktuelle Artikel über die Entwicklung, die jedoch keineswegs nur von Schwarzmalerei geprägt ist, wie etwa die von Hans-Joachim Fünfstück beschriebene Wiederansiedlung des Bartgeiers in Deutschland.

Besorgniserregendes schildert Wolfgang Scherzinger über den Umbruch im Bergfichtenwald des Inneren Bayerischen Waldes und die Reaktion der Vogelwelt auf die veränderte Situation (S. 179). Diese eigentlich noch aufgrund seiner unzugänglichen Lage relativ naturbelassenen, dunklen Fichtenwälder mit Bäumen von 150 bis 350 Jahren drohen nicht durch Menschenhand, sondern Borkenkäferbefall zugrunde zu gehen, eine spezielle Art, die sich unter besonders günstigen Bedingungen in ungeheuren Massen vermehren kann. "Waren es 1991 im Ortsteil des Nationalparks noch 90 ha abgestorbener Fichten, so weitete sich der Borkenkäferbefall mit 300 ha 1995 und an die 4.500 ha im Jahr 2000 sprunghaft aus. Der Bergwald verlor nach und nach sein grünes Kleid, sein Rauschen erlosch im starren Gehölz kahler Wipfel." (S. 180) Profiteur dieses Schadens ist der Specht (der übrigens auch die Titelseite des Kalenders ziert). Sein Vorkommen steigt mit dem Niedergang des Waldes rasant an: "Von nur einem Buntspecht und einem Paar Dreizehenspechte in den 1970er Jahren - vor der Kalamität - stieg die Dichte 1989/90 auf 28 Individuen in fünf Arten (1989-2000 betrug die Höchstsumme 37 Individuen aus sechs Arten)." (S. 181/182)

Darüber hinaus erfährt man etwas über Exkursionsziele in und um Bremen; erhält unter der Rubrik "Neues und Nützliches für Naturfreunde" Tips zu Gurten, die das Tragen des oft recht schweren Equipments für die Erkundungen erleichtern; man wird auf amüsante Weise in Daniel Doers Artikel "English for Runaway Birders" mit dem "Denglisch" in der Ornithologensprache konfrontiert, und bekommt wertvolle Beobachtungshilfen für das eigene unmittelbare Umfeld, die durch den Klimawandel bedingten Auswirkungen auf die Vogelwelt wahrzunehmen. Mit einer Tabelle kann dazu ein Vergleich über Jahre vorgenommen werden.

Genaues Beobachten, akribisches Vergleichen, Notieren und Registrieren hat sich somit bestens bewährt, die Vorgänge zu erfassen und gegebenenfalls ein Problembewußtsein in der breiten Öffentlichkeit zu schaffen. Und dennoch stößt vielleicht auch gerade der nicht professionelle, aber völlig unvoreingenommene Vogelfreund bei seinen Beobachtungen auf Fragen, die von der Ornithologie unberührt bleiben.

Da ruht zum Beispiel am Strand die Möwe mit aufgeplustertem Oberkörper über einen langen Zeitraum beinahe reglos auf einem Bein - eine Fähigkeit, die, einmal auf den Menschen übertragen, man wohl nur bei einem Yogi-Meister vorfindet. Ein beachtliches körperliches Organisationsvermögen weist auch der Kernbeißer auf, der, wie Siegfried Klaus beschreibt, beim Zubeißen selbst harte Samen wie Kirschkerne zu knacken in der Lage ist. "Wie experimentell herausgefunden wurde, ist für das Brechen der Kirschkernschale immerhin eine Gewichtsbelastung von ca. 40 kg erforderlich, für den 50 bis 60 g schweren Kernbeißer eine erstaunliche Leistung", heißt es in seinem Artikel über diese große Finkenart. Die Formel "Kraft = Masse x Beschleunigung" zugrundegelegt, muß der Kernbeißer für diese Leistung bei seiner Körpergröße von etwa 17, 18 cm auf kleinstem Raum eine ungeheure Geschwindigkeit entwickeln, um punktgenau mit seinem geringen Gewicht dieses Ergebnis erzielen zu können.

Und dann gibt es noch den Mauersegler, einem wahren Luftakrobaten, von dem es im Falken Kalender 2003 in dem von Bernd Nicolai geschriebenen Artikel heißt, daß er bei Schlechtwettergebieten schon mal Ausweichflüge von 1000 bis über 2000 km durchführt und dabei die Jungen im Nest kurzzeitig verläßt, die wiederum so lange in eine Art "Hungerschlaf" fallen. "Dabei wird die normalerweise etwa 40°C betragende Körpertemperatur in der Nacht auf 1-5 °C über der Umgebungstemperatur (bestenfalls aber auf kritische 20 °C) und die Atmungsfrequenz auf 9 pro Minute gesenkt, was nur einem Zehntel des Normalwertes entspricht. [...] Je nach Temperaturverhältnissen können ältere Nestlinge auf diese Weise höchstens 1 bis 2 Wochen überleben."

Keine Frage, der Mensch steht an der Nahrungskette ganz oben. Zumindest in den Wohlstandsländern braucht er solche ausgefeilten Strategien nicht, wie sie in der Vogelwelt fürs unmittelbare Überleben notwendig sind.

Dank Vieh, dessen Daseinszweck das Geschlachtetwerden ist, und einer Vegetation, deren Daseinszweck es zu sein scheint, ihn zu nähren, dank Wärme und Wasserzufuhr frei Haus wähnt er sich unberührt von derlei Fragen - zumindest solange die klimatisch bedingten Veränderungen mit der damit einhergehenden Nahrungsmittelknappheit diese vermeintlich sichere Position nicht antasten.

Steigt man jedoch einmal den wissenschaftlichen Elfenbeinturm herab und begegnet den Vögeln sozusagen "auf Augenhöhe", wird man schnell der eigenen physischen Einschränkungen und Grenzen gewahr und könnte vielleicht noch in Sachen Überlebensstrategien etwas von diesen gefiederten Wesen mit ihren "Spatzenhirnen", wie der Mensch es so überheblich nennt, lernen.

Der Falke - Taschenkalender für Vogelbeobachter 2009
AULA-Verlag Wiebelsheim 2008
ISBN 978-3-89104-722-4
ISSN 1618-9531

23. Januar 2009