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BUCHTIP/1041: Srebrenica - Der Krieg wirkt nach (welt der frau)


welt der frau 2/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Der Krieg wirkt nach
Renate Metzger-Breitenfellner erzählt vom Leben junger Frauen im bosnischen Srebrenica.

Von Christina Gastager-Repolust


"Ich liebe die Gerechtigkeit"
Dragana Nicolic, 28, Verkäuferin,
lebt mit ihren Eltern und ihrer Schwester.

Dragana Nicolic will nicht über den Krieg sprechen: "Ich will das vergessen, all diese Traumata. Menschen wurden umgebracht, vor unseren Augen, ich träume davon, ich will das nie mehr erleben, ich will das vergessen." Dragana ist Serbin, vor dem Krieg in Bosnien hat keiner gewusst, welche Ethnie oder welche Religion der Nachbar hat.

Heute spielt das auch in Srebrenica eine Rolle, um zu einem Beruf zu kommen. Draganas Vater wurde durch den Krieg arbeitslos. Jetzt sorgen Dragana und ihre Schwester für die Familie. Sie träumt von einem Studium, einem Ehemann, Kindern, einfach einem guten Leben.


"Meine Kinder sollen es einmal besser haben"
Azra Hasanovic, 26,
hat drei Töchter und ist Bäuerin.

Als die serbischen Truppen in Azras Dorf kamen und alle ermordeten, die sie antrafen, war Azra zehn. Viele ihrer Verwandten wurden getötet. Sie konnte mit ihren Eltern flüchten. Heute schickt Azra ihre älteste Tochter auf eine Koranschule nach Sarajevo, die von einem reichen Araber bezahlt wird. Ihr Mann findet nur Gelegenheitsjobs und ihren Kindern soll es doch einmal besser gehen, meint sie - auch wenn es Töchter sind und Ehemann Mehmet wohl noch weitere Kinder mit ihr zeugen wird, bis der ersehnte Stammhalter kommt.


"Das Leben kann nicht warten"
Adina Purkovic, 24, studiert Jus.

"Die bosnische Frau gibt es nicht", meint Adina, Ihr Vater ist Muslim, ihre Mutter orthodoxen Glaubens. Eine für das frühere Bosnien typische Mischehe.

Adina kritisiert, dass zu wenig Politiker in ihrer Heimat wirklich an einer Besserung der Lage interessiert sind. Auch die Kluft zwischen den Ethnien sei nach wie vor tief. "Ich werde meine Kinder so erziehen, wie mich meine Mutter erzogen hat: zu Offenheit und Toleranz." Zwölf Jahre nach dem Genozid klingt diese Einstellung in Bosnien fast noch wie Utopie.


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Leben nach dem Völkermord

"Ihr dürft uns Frauen in Srebrenica nicht vergessen." So wurde die Journalistin Renate Metzger-Breitenfellner von Frauen in Bosnien immer wieder angesprochen, als sie in den Jahren 2003, 2004 und 2005 nach Srebrenica gefahren ist: "Ich wusste, welches Verbrechen im Juli 1995 dort begangen wurde: An die 10.000 Menschen wurden ermordet, Tausende von Frauen und Kindern deportiert. Als ich in Srebrenica ankam, schien dort die Zeit stehen geblieben zu sein, es sah noch immer aus wie einen Tag nach Kriegsende." Über die Vermittlung der Hilfsorganisationen "Bauern helfen Bauern" und "Bos-Fam" findet sie ihre Interviewpartnerinnen, der Zufall ergänzt die Palette der jungen Frauen aus einer vergessenen Stadt. Der Wiederaufbau von Srebrenica wird hauptsächlich von Frauen betrieben. "Diese Mütter, Bäuerinnen, Studentinnen, Köchinnen, Erwerbslosen und Selbstversorgerinnen haben eines gemeinsam: Sie geben inmitten der Trümmer nicht auf. Sie haben die Hoffnung, dass die Mörder ihrer Männer, Väter und Brüder endlich zur Verantwortung gezogen werden, und die Vision von einer Zukunft, in der die Liebe wieder Platz nehmen kann." Die Frauen fassen Vertrauen, erzählen von Wut, Leid und Liebe. Vom Leben, das nicht warten kann, weil es gelebt werden will.

Renate Metzger-Breitenfellner erzählt vom Leben von neun Frauen im Alter zwischen 19 und 33 Jahren. Die Schwarz-Weiß-Fotos dokumentieren, welche Spuren der Völkermord von Srebrenica hinterlassen hat.

BUCHTIPP:
Renate Metzger-Breitenfellner, Jutta Vogel:
"Das Leben kann nicht warten",
Junge Frauen aus Srebrenica,
Rex Verlag, 152 Seiten, Euro 17,27


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 2/2007, Seite 43
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2007