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PROFIL/092: Über die Arbeit der äquatorialguineischen Schriftstellerin Remei Sipi Mayo (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 132, 2/15

Weil es getan werden muss
Über die Arbeit der äquatorialguineischen Schriftstellerin Remei Sipi Mayo

Von Irina Baumgartner-Willett


Zum vierten Mal veranstalteten das Romanistikinstitut und das Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien im Mai die Literaturwoche Äquatorialguinea. Zu Besuch war unter anderen Remei Sipi Mayo. Ihre Mission: Sie hat sich dem Sichtbarmachen verschrieben - "für die Sache der afrikanischen Frauen", als Schriftstellerin, Essayistin, Verlegerin und Aktivistin.


Remei Sipi lacht: "Die Sache der afrikanischen Frauen heißt, optimistisch zu sein. Ich nehme Sichtbarkeit in Anspruch und möchte die Vielfalt weiblicher Migration zeigen." Ihr Engagement sieht sie als Privileg, als Luxus.


Aufbruch

Mit 16 Jahren - 1968 von Äquatorialguinea nach Spanien gezogen - hat sie bald gemerkt, dass das Image der Migrantin das des hilfsbedürftigen Wesens ist. "Natürlich müssen wir schauen, wo wir bleiben", betont Remei Sipi. "Aber viele Afrikanerinnen kommen, um sich fortzubilden, um Möglichkeiten zu nutzen, die sie in ihren Herkunftsländern als Frauen nicht haben. Wüsste Europa mehr über Afrika, dann würde sich das Bild, das die Öffentlichkeit von uns hat, grundlegend verändern."

Dass auch innerhalb Afrikas die Unterschiede groß sind, muss immer wieder betont werden, etwa die Motive der Migration. "Die meisten Afrikanerinnen kommen aus ökonomischen Gründen und sind nachgezogen - der Mann geht vor, schaut sich um, versucht sich zu etablieren, die Frau kommt später nach. In Äquatorialguinea ist das anders, für uns ist Spanien das Mutterland. Wir kommen, um uns zu bilden, und betrachten das nicht als Auswandern," erklärt Remei Sipi.

In den 60er-Jahren waren ihre Landsleute die ersten Afrikaner_innen in Spanien - in ein Schiff zu steigen und nach Spanien zu fahren war wie ein Umzug in eine andere Provinz. "Ich hatte das Glück, in einer Zeit des Umbruchs für Frauen aufzuwachsen. Meine Generation ist nicht mehr den üblichen Weg gegangen - Schule, heiraten, Kinder." Für Remei Sipi war es logisch, sich weiterzubilden: Studien in öffentlicher Verwaltung und in Barcelona folgte eine Ausbildung zur Erzieherin.

Die Leidenschaft für Literatur kam allmählich. Doch schon bald "brannte" sie und verschlang Bücher afrikanischer Schriftstellerinnen - "Ich konnte gar nicht mehr aufhören." Sie las auch Europäerinnen, besuchte alle einschlägigen Veranstaltungen, die ihr unterkamen, und entdeckte ihr Heimatland: "Vor allem Donato(1), aber ich habe doch hauptsächlich Frauen gelesen."

Das klingt, als ob ihr weibliches Bewusstsein, ihr Selbstverständnis als Feministin und ihre Literaturleidenschaft gleichzeitig erwacht wären. "Nicht ganz" - Remei Sipi zögert mit ihrer Antwort. "Mein weibliches Bewusstsein habe ich immer gehabt. Ich komme aus der Ethnie der Bubis. Wir sind matrilinear", betont sie "bei uns werden Traditionen und alle Formen der Kultur über Frauen weitergegeben. Wenn ein Mädchen geboren wird, heißt es: Wie toll, wir sind alle deine Familie. Kommt ein Bub zur Welt, sagen alle: Ganz hübsch, du wirst uns aber nicht sehr nützlich sein." Das heiße aber keineswegs, dass die männlichen Machtansprüche unter dem matrilinearen System litten: "Meine Großmutter hatte zwar nie Virginia Woolf gelesen, trotzdem hat sie immer gesagt: Wir müssen auf die Mädchen aufpassen, bis sie ihr eigenes Geld verdienen können."


Entstehung eines Verlags

1995 zieht ihre Tochter aus: "Dadurch habe ich bei Strom und Toilettenpapier gespart." Remei Sipi fängt an, im Eigenverlag Bücher zu publizieren. "Verlegerin, das ist ein großes Wort. Mein Verlag ist ein Schreibtisch im Wohnzimmer. Mein erstes Buch - über die Verfassung von Äquatorialguinea - habe ich einfach kopiert. Niemand wollte so etwas verlegen. Aber es war notwendig." Nach zwei Kindergärten, die sie aufgebaut und geleitet hat, ist sie ausgebrannt und widmet sich nur noch der Literatur.

Ihr bescheidener Lebensstill und das Einkommen ihres sie voll und ganz unterstützenden Ehemannes ermöglichen es ihr, sich komplett dem Sichtbarmachen zu widmen. Sie besucht Konferenzen und publiziert weiter: 50% der Kosten muss die jeweilige Autorin aufbringen, 50% sucht sie sich irgendwo zusammen. Verkauft wird in zwei auf Afrika spezialisierten Buchhandlungen und bei Veranstaltungen. "Ich mach mir dabei nichts vor. Das ist kein rentables Geschäft. Aber ich tue, was mir wichtig erscheint - ich mache sichtbar." So hat sie etwa - mit finanzieller Unterstützung der Regierung Angolas - ein Buch mit Gedanken von Angolanerinnen zum Frieden produziert. Auch mit unterschiedlichen Universitäten gab es Projekte.

Wichtig ist Remei Sipi das Erhalten von Geschichten, die in ganz Afrika bekanntlich einen hohen Stellenwert haben. Also sammelt sie sie, schreibt sie auf und macht sie mit ihren Büchern zugänglich. Sie erzählt von ihren beiden Enkelinnen: "Wenn ich ihnen keine Geschichten erzähle, wissen sie nichts von ihrer Herkunft. Die Gesellschaft, in der sie leben, zwingt sie zur Assimilation. Sie müssen sein wie alle anderen. Wie sollen sie etwas über Guinea lernen? Mit Geschichten kann ich eine Verbindung herstellen."

Sie erzählt von der Begeisterung ihrer Enkelin, als diese einen Artikel über ihre Großmutter in einer spanischen Zeitschrift entdeckt: "Sie war total stolz auf mich und ist überall herumgelaufen: Schaut, das ist meine afrikanische Großmutter! Es macht die Mädchen stark, wenn sie ihre Geschichte kennen. Ihr Selbstbewusstsein wächst. Deshalb ist es die Mühen wert, diese Dinge ans Licht zu bringen."


Einwanderung und Geschlecht

Ihr besonderes Interesse gilt nach wie vor den Migrantinnen. Eine Forschungsarbeit hatte 2007 ein Buch zur Folge: "Spanien ist sehr divers. Es gibt besser ausgebildete Lateinamerikanerinnen, die hauptsächlich aus politischen Gründen gekommen sind. Dann die Frauen aus der Karibik, die oft im Haushalt arbeiten und mitunter in der Prostitution. Aus Guinea sind Frauen aus meiner Generation gekommen, um zu studieren und danach das Land bei der Unabhängigkeit zu unterstützen. Später sind viele immigriert, die müde nach zwei Diktaturen waren. Viele von ihnen sind in der Verwaltung. Es gibt die Gruppe der Filipinas und der Frauen aus Afrika südlich der Sahara. Die Maghrebinerinnen schließlich sind uneinheitlich. Viele dieser Frauen sind unsichtbar. Aber nicht alle ziehen Männern nach, tragen Schleier, lernen die Sprache nicht. Es gibt auch viele, die kommen, um sich auszubilden, zu studieren, um ihre Geschichten zu erzählen und als Frauen frei leben zu können."

Verbindendes Element unter allen Gruppen ist die Gewalt. "Die Gewalt des Blicks", erklärt Remei Sipi. "Wir werden feindlich betrachtet. Doch obwohl die Unterschiede unter uns immens sind, so verbindet uns doch mehr als nur unser Geschlecht. Wir haben alle enorme Schwierigkeiten, den Alltag zu meistern, unabhängig von unserem Bildungsniveau." Deshalb ist sie eine Verfechterin der Vernetzung: "Wir haben Netzwerke gegründet, alle zusammen, über die Differenzen hinweg."

Ein großes Thema ist die Familienzusammenführung. Männer nützen sie zur Erpressung: Entweder du machst, was ich sage, oder ich schicke dich zurück. Auch der Nachwuchs ist ein gemeinsames Thema: Bei allen geht es darum, ihre Wurzeln zu kennen. Viele Kinder hätten Probleme, sich mit ihrer Herkunft auszusöhnen. Verschärfend wirken Veranstaltungen, etwa Afrika-Feste, bei denen auch von den Migrantinnen selbst sämtliche Stereotypen bedient werden: Henna-Bemalungen von den Marokkanerinnen, Tanz zu Trommeln von den Afrikanerinnen. Gelegen kommt da, dass das Thema Herkunft und Wurzeln gerade "in" ist. Auch das Image der Afrikanerin hat sich gewandelt - nicht zuletzt dank der vielen gebildeten Frauen, die ihren Weg nach Spanien gefunden haben.

In ihrem nächsten Projekt widmet sich Remei Sipi einem weiteren Mythos: dem der ewig fröhlichen, eher dümmlichen Afrikanerinnen. Fakten wie die 55% weiblichen Abgeordneten in Ruanda kommen da zu Hilfe. Auch die informelle Ökonomie in Afrika - die durchgehend in Frauenhand ist - möchte sie näher betrachten. Und nicht zuletzt wartet ein Haufen afrikanischer Autorinnen darauf, entdeckt und verbreitet zu werden. "Das sind meine Projekte, das habe ich vor", sagt Remei Sipi mit dem Selbstverständnis, dass manche Arbeiten einfach getan werden müssen.


ANMERKUNG:
(1) Donato Ndongo ist der bekannteste Autor Äquatorialguineas und war ebenfalls Gast bei der 4. Literaturwoche.

LESETIPP:
Publikationen von Remei Sipis Editorial Mayo auf www.remaisipi.com


ZUR AUTORIN:
Irina Baumgartner-Willett ist Geschäftsführerin der Frauensolidarität und hat die Veranstaltung "Inmigración y género" mit Remei Sipi bei der Literaturwoche auf der Romanistik moderiert.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 132, 2/2015, S. 26-27
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2015

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