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PROFIL/083: Pier Paolo Pasolini - Leben und Werk eines der größten Dichter Italiens (Gerhard Feldbauer)


Leben und Werk eines der größten Dichter Italiens

Vor 90 Jahren wurde Pier Paolo Pasolini geboren

von Gerhard Feldbauer



"Jedes Jahrhundert werden nur drei oder vier Dichter geboren, und wir haben einen Dichter verloren." Mit diesen Worten würdigte Alberto Moravia in seiner Totenrede 1975 Pier Paolo Pasolini. Am 5. März 2012‍ ‍wäre er 90 Jahre alt geworden. Er studierte Literatur- und Kunstgeschichte im roten Bologna und war dort von 1947 bis 49 als Lehrer tätig, ehe er in einer Anzeige der Verführung eines 17jährigen beschuldigt und daraufhin entlassen wurde. Die IKP schloss ihn deswegen aus ihren Reihen aus. Die Anzeige nannte er "eine Heimtücke der Christdemokraten", seinen Parteiausschluss eine "Unmenschlichkeit". Ungeachtet dessen, "bleibe ich Kommunist", schrieb er. Seine Homosexualität hat er nie verheimlicht.


Ein vielseitiges geniales Talent

Pasolini war ein vielseitiges geniales Talent. Er wurde als Dramatiker, Romancier, Lyriker, Literaturwissenschaftler, Filmregisseur und selbst als Maler bekannt, arbeitete als Journalist, schrieb Essays, war immer ein politisch engagierter Mensch. Die Sozialkritik rechnete er zu seinen wichtigsten Ambitionen als Künstler. Dabei war er selbstkritisch und gestand Schwächen offen ein. Er bedauerte, keine Erfahrungen in der Welt der industriellen Arbeit gemacht, keine ökonomischen Kenntnisse erworben, als Marxist zu wenig von Marx gelesen zu haben.


Unvergesslich Ragazzi di Vita

Mitte der 1950er Jahre wurde Pasolini als neorealistischer Schriftsteller mit seinen Büchern Ragazzi di Vita (1955) und Una Vita violenta (1959) sowie durch seine ersten Filme Accatone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß (1961) und Mamma Roma (1962 mit Anna Magnani) als Regisseur rasch auch international bekannt. Er schrieb Theaterstücke und für Federico Fellini und Mauro Bolognini Drehbücher. Seine Werke widerspiegelten seine Sympathien für die Arbeiter, eingeschlossen das Lumpenproletariat (Una Vita violenta), das er in den Elendsvierteln von Rom kennenlernte. Pasolini zeigte offen seine Verachtung für die Bourgeoisie und ihr parasitäres Leben.

Pier Paolo Pasolini mit Kamera am Set; Comizi d'Amore, Italien 1963, Regie: Pier Paolo Pasolini, -Quelle: Deutsche Kinemathek z.Zt. Exponat der Ausstellung 'Pier Paolo Pasolini - Hommage zum 90. Geburtstag'

Comizi d'Amore, Italien 1963,
Regie: Pier Paolo Pasolini,
Quelle: Deutsche Kinemathek
z.Zt. Exponat der Ausstellung 'Pier Paolo Pasolini - Hommage zum 90. Geburtstag'(1)

Zur IKP, die Anfang der 1970er Jahre mit ihrem "Historischen Kompromiss" zur Klassenzusammenarbeit mit der Democrazia Cristiana überging, bezog er eine kritische Positionen, blieb ihr, mehr wohl ihrer kämpferischen Basis, aber immer eng verbunden. In einem Gedicht hieß es dazu: "Ich habe mich der IKP immer mit Hingabe widersetzt und erwartete eine Antwort auf meine Einwände. Ich wollte ja dialektisch Vorgehen. Diese Antwort ist nie gekommen".

Pasolini schrieb in bildhafter, lebendiger und kraftvoller Sprache, verfasste Streitschriften (Freibeuterbriefe, Lutherbriefe, Paulusbriefe) die seine kommunistische Gesinnung bezeugten, aber auch seine Sicht auf religiöse Gefühle ausdrückten, was auch seine verfilmte Matthäus-Evangelium (1964) zeigte. In der Lyrik sind seine Ceneri di Gramsci (1957); dt. "Gramscis Asche" und L'Usignolo della Chiesa cattolica ((1958); dt. "Die Nachtigall der katholischen Kirche" zu nennen. Von den Romanen Il Sogno di una Cosa (1962); dt. "Der Traum von einer Sache" und Ali dagli Occhi azzurri (1965); dt. "Ali mit den blauen Augen". In der Bundesrepublik sind viele seiner Werke bei Wagenbach erschienen.

In seinem letzten Film Salò o le ventoventi Giornate della Citta di Sodoma; dt. "Salò oder die 120 Tage von Sodom" gestaltete er nach Marquis de Sade fiktiv die grausamen Zustände in einem Gefangenenlager in Salò, dem Sitz des Mussolini-Regimes am Gardasee unter der Okkupation der Hitlerwehrmacht. Den heftig umstrittenen Film prägten Resignation und Lebensekel.

Im November 1975 fiel Pasolini einem furchtbaren Verbrechen zum Opfer. Am Rande von Rom, in Ostia, wurde er auf einem Fußballplatz von mehren Männern überfallen, schwer misshandelt und dann mit seinem eigenen Wagen überfahren und getötet. Ein Strichjunge wurde von der Polizei gefasst und behauptete, er habe in Notwehr gehandelt. Er wurde zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Die Ermittlungen ergaben jedoch bald, dass er nicht der Täter gewesen sein konnte. Der Mord wurde nie aufgeklärt.


Auf den Mordlisten der Faschisten

In seinem preisgekrönten biographischen Roman "In der Hand des Engels" (1985)‍ ‍verbreitete Dominique Fernandez die Version, der Dichter habe den Tod gesucht. Glaubwürdiger stellte Regisseur Marco Tullio Giordana in seinem dokumentarischen Spielfilm "Pasolini, un Delitto italiano" (Pasolini, ein italienisches Verbrechen), 1996 auf dem Festival in Toronto uraufgeführt, die Tat als einen politischen Mord dar. Als vor einigen Jahren die Ermittlungen neu aufgenommen wurden, schrieb die "Neue Zürcher Zeitung" "Faschismus, Mafia und Geheimdienste" würden als "mögliche Täter identifiziert". Diesen Kreisen, deren System er in vielen Werken unerbittlich angeprangert hatte, war er in der Tat zutiefst verhasst gewesen. Das von der Korruption der Democrazia Cristiana zerfressene Italien hatte er einmal ein "grauenhaft dreckiges Land" genannt. Politische Morde an Linken, begangen von Faschisten, Geheimdienstlern und Mafiosi waren in den 1970er Jahren in Italien an der Tagesordnung. Schon in dieser Zeit war bekannt geworden, dass der Name Pasolinis zusammen mit anderen linken Schriftstellern, darunter Alberto Moravia, auf den Mordlisten der faschistischen Putschisten stand.

Pasolinis Hinwendung zur IKP war der Liebe eines Kindes vergleichbar, das sich nach Zuneigung sehnt. Im Leben oft nicht erwidert, wurde sie ihm im Tode zuteil. Unter den Trauergästen, die zu Tausenden zu seinem Begräbnis kamen, befanden sich viele Parteimitglieder, an ihrer Spitze Generalsekretär Enrico Berlinguer.


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
(1)‍ ‍Das Schwule Museum Berlin zeigt noch bis zum 1. Mai 2012 die Ausstellung "Pier Paolo Pasolini - Hommage zum 90. Geburtstag"
weitere Informationen: www.SchwulesMuseum.de


siehe auch die Ankündigung der Ausstellung im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Kunst → Veranstaltungen → Ausstellung
AUSSTELLUNG/7630: Berlin - Schwules Museum "Pier Paolo Pasolini - Hommage zum 90. Geburtstag", 27.1-1.5.12

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2012