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NACHRUF/001: Zum Tod von Dario Fo (Gerhard Feldbauer)


Zum Tod von Dario Fo

Er war Stückeschreiber, Schauspieler, Regisseur und Hochschulprofessor.
Immer Kommunist und politischer Kämpfer, radikal links positioniert.

von Gerhard Feldbauer, 23. Oktober 2016



Der Autor auf der Bühne - Foto: By William Domenichini (Own work) - [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Dario Fo, 2007
Foto: By William Domenichini (Own work)
[CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Mit Dario Fo starb am 13. Oktober im Alter von 90 Jahren ein international hoch geachteter italienischer Künstler von universalem Format. "Mit Dario Fo verliert Italien eine seiner großen Hauptfiguren des Theaters, der Kultur, des bürgerlichen Lebens unseres Landes", zitierte die Nachrichtenagentur ANSA italienische Medien. Ministerpräsident Matteo Renzi sprach Fos Familie sein Beileid aus. "Seine Satire, seine Recherche, seine Arbeit auf der Bühne, seine vielseitige künstlerische Tätigkeit bleiben als Erbe eines großen Italieners in der Welt." 1997 war der am 24. März 1926 geborene Fo der sechste Italiener, dem die Schwedische Akademie den Nobelpreis für Literatur verlieh. Das löste damals allgemein Überraschung, auch Verwunderung, von rechts natürlich Proteste aus.

Seit 1952 schrieb Fo Theaterstücke, vor allem volkstümliche Farcen, für Strehlers picolo Theatro politisch-satirische Revuen. In den 68er Studentenunruhen und dem in Italien folgenden "heißen Herbst" der Arbeiterkämpfe stand er auf der kulturellen Barrikade. Er brach endgültig mit dem bürgerlichen Theater und gründete ein eigenes Ensemble, "La Comune". Fo spielte in Kulturhäusern der Gewerkschaften, in Fabrikhallen, vor Streikenden und bei Kundgebungen. Ob als Stückeschreiber, Schauspieler, Theatergründer und Intendant oder Regisseur, Bühnenbildner, Zeichner und schließlich Hochschulprofessor, immer agierte er als Kommunist und politischer Kämpfer, radikal links positioniert. Orientiert an Gramsci sah er sein "militantes Theater" dazu bestimmt, die Hegemonie der bürgerlichen Kultur zu brechen, eine "neue, revolutionäre Kunst zu schaffen", dem Proletariat zu helfen, "sein Klassenbewusstsein zu entwickeln".

Mit "Zufälliger Tod eines Anarchisten", behandelte er den 1969 inszenierten faschistischen Anschlag auf die Mailänder Landwirtschaftsbank und den Mord an dem Anarchisten Giuseppe Pinelli. Eines seiner erfolgreichsten Stücke war "No si paga", "Bezahlt wird nicht" (1974). Darin brachte er den unlösbaren Widerspruch kapitalistischer Ökonomie am Beispiel des Konsumterrors eines Supermarktes auf die Bühne, in dem die Kunden eines Tages an der Kasse vorbeiziehen und nicht bezahlen. Fo wurde wegen Anstiftung angeklagt. Er wurde rund 40 Mal wegen Beleidigung und Verhöhnung der Mächtigen vor Gericht gezerrt, mehrmals auf offener Bühne verhaftet. Die meisten Prozesse verlor er. Das hinderte ihn nicht, sich weiter aktiv in die Politik einzumischen, Reaktion und Faschismus anzugreifen, darunter den Hitlerbewunderer und Mediendiktator Silvio Berlusconi. Vatikan und Mafia sparte er nie aus.

Er hat über 70 Bühnenwerke verfasst, darunter das Solostück "Mystero Buffo". Von Fo seit 1969 in allen europäischen Hauptstädten selbst gespielt, nannte es die "Neue Zürcher Zeitung" auch heute noch "großes Theater". In einer kurzen Auswahl sind unbedingt anzuführen: "Der Papst und die Hexe", "Hohn der Angst", "Erzengel spielen nicht Flipper", "Geschichte einer Tigerin" und "Stiehl ein bisschen weniger". Mehr als 30 seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt, darunter "Mistero Buffo" (1969), "Offene Zweierbeziehung" (1983), "Sex? - Aber mit Vergnügen!" (1994) und "Der Teufel mit den Titten" (1997).

Fo war, wie es damals die Nobelpreis-Jury begründete, ein Künstler, der die Tradition der Comedia dell'Arte fortführt; ein "äußerst vielseitiger Künstler, der in der Nachfolge der mittelalterlichen Gaukler die Macht geißelt und die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder aufrichtet und dessen Werk "einen Ausdruck von außerordentlichem idealistischem Streben" darstellt. Wie zu jeder Zeit war die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Preises auch an Dario Fo heftig umstritten. Auch wenn das die Jury nicht anführte, war unübersehbar, dass ein Antifaschist geehrt wurde, was man durchaus als ein Zeichen aus Stockholm gegen die faschistische Gefahr in dem Land, das einen Mussolini hervorbrachte und wo das Führungs-Mitglied der faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) Berlusconi 1994 die Mussolininachfolgerpartei MSI in die Regierung aufnahm, sehen konnte. Peter O. Chotjewitz, der deutsche Übersetzer Dario Fos, drückte das so aus: "Stockholm ehrt nicht nur einen bislang ungewohnten Autorentypus, einen höchst raren dazu, der sich mit den Vorlieben und Moden des Literaturbetriebes nicht deckt, sondern auch einen libertären Linken, der soziales Engagement und Parteilichkeit zugunsten der Ausgebeuteten und Unterdrückten vertritt." Dass der Vatikan durch sein Hofblatt "Osservatore Romano" sein "Entsetzen" kundtat und die Preisverleihung für ihn "jede Vorstellungskraft" überstieg, war nicht verwunderlich. Auch nicht, dass der Führer der in AN umgetauften MSI-Faschisten, Gianfranco Fini, von einer "Schande" sprach. Das alles konnte nur als höchstes Lob für den Preisträger gewertet werden. Fo selbst erklärte, dass er die Glaubwürdigkeit, die "der Nobelpreis verleiht", für seine "künftigen Schlachten nutzen" und dazu auch die Dotation von 1,7 Millionen DM einsetzen werde.

Diesem Versprechen ist Fo bis zu seinem Tod treu geblieben. Viele seiner Stücke schrieb er mit seiner Frau Franca Rame zusammen, er sprach deshalb stets von "unserem Nobelpreis". Rames Tod am 29. Mai 2013 hatte ihn schwer getroffen. Obwohl Fo zuletzt schlechter sehen und hören konnte, blieb er bis zuletzt aktiv: Vor drei Wochen brachte er noch ein illustriertes Essay über Charles Darwin heraus. Der italienische Journalist und Schriftsteller Roberto Saviano schrieb auf Twitter: "Groß ist mein Schmerz nach dem Verlust von Dario Fo. Ein gewaltiger Intellektueller und großzügiger Freund."

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2016

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