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FRAGEN/007: Tarek Eltayeb - Wichtiger wäre Mit-Sprache (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 51
OKTOBER, NOVEMBER 2007

Wichtiger wäre Mit-Sprache
Interview mit Tarek Eltayeb

Von Daniela Ingruber


Der Dichter Tarek Eltayeb kennt als Migrant auch die Kälte Österreichs, seiner Menschen und seiner Sprache. Und doch liebt er dieses Land. 'planet' sprach mit ihm über seine Erfahrungen in Wien.


PLANET: Sie wurden in Ägypten geboren, haben in verschiedenen Ländern gearbeitet und leben seit 1984 in Österreich. Sie sprechen mehrere Sprachen. Den Begriff "zwischen den Kulturen" mögen Sie aber nicht. Warum?

TAREK ELTAYEB: Ich finde, zwischen den Kulturen, das ist wie ein Stuhl im Niemandsland. Wer dort sitzt, ist im Dilemma. Ich bin in zwei Kulturen, ich lebe in beiden gleichzeitig.

PLANET: Betrifft das auch die Sprache?

TAREK ELTAYEB: Anfangs habe ich nur arabisch geträumt. Inzwischen deutsch, auch wenn ich von meiner Mutter träume. 15 Jahre lang habe ich von Sand und Wüste geträumt. Jetzt ist das anders.

PLANET: Wenn sie im Alltag mehrere Sprachen sprechen, beeinflusst das ihre literarischen Texte?

TAREK ELTAYEB: Ja, man wechselt die Sprache und bemerkt, dass man die Spuren wechselt. Auch die Stopp-Tafeln ändern sich. Dieser Wechsel ist sehr heikel, sehr schön und bringt immer etwas Neues, das ich auch für meine Muttersprache benützen kann.

PLANET: In ihrem letzten Buch haben sie von der Kälte in Wien geschrieben, die sie auch metaphorisch meinen. Sehen sie zudem eine sprachliche Kälte in dieser Stadt?

TAREK ELTAYEB: Was ich in Österreich und im gesamten deutschsprachigen Raum bemerke, ist Folgendes: Man setzt hier Sprache immer wieder mit Denken gleich. Und das finde ich falsch. Man glaubt, wer die Sprache nicht gut beherrscht, kann auch nicht denken. Dann sagt man: "Du essen." "Du arbeiten." In Ägypten zum Beispiel ist das anders. Wenn jemand "Salaam" sagt, freut man sich und sagt: "Sie sprechen so gut arabisch!"

Hier ist man diesbezüglich blockiert. Solange man als Migrant Zeitungsverkäufer ist oder Maroniverkäufer, meinen die Leute, man hätte ein niedriges Niveau. So wird dann auch mit Ihnen gesprochen: am untersten Niveau. Oder man spricht einfach nur Dialekt. Das ist manchmal schön, vor allem im Fernsehen. Aber in der Realität ist das hart.

PLANET: Werden Sie noch so angesprochen?

TAREK ELTAYEB: Ja, man redet zuerst mit meiner Hautfarbe. Vor Jahren habe ich in unserem Haus etwas Schweres getragen, sehr vorsichtig. Mein Nachbar meinte, ich würde das Haus beschädigen. Er schimpfte mit mir. Die ganze Zeit habe ich mit ihm deutsch gesprochen, doch er hat das nicht bemerkt. Er blieb bei Englisch. Manchmal komme ich in ein Geschäft und bestelle in deutlicher Sprache. Die Verkäuferin fragt mich dann: "What?" Man hört mich nicht, sondern sieht nur mein Gesicht.

Es freut mich daher immer, wenn mich Touristen auf der Straße nach dem Weg fragen. Die meisten ÖsterreicherInnen fragen lieber eine/n Weiße/n, der/die vielleicht erst seit gestern in Wien ist.

PLANET: Wie hält man das aus?

TAREK ELTAYEB: Im Laufe der Zeit lernte ich Wien zu lieben. Ich habe hier FreundInnen. Ich habe mich entschlossen, ich bleibe da. Dafür muss ich auch etwas tun. Ich unterrichte, ich zeige, wie ich bin. Ich will, dass man mich als mich kennen lernt. Nicht als den Afrikaner, von dem sie in der 'Kronen Zeitung' lesen, dass er Drogendealer sei.

PLANET: Sie haben in verschiedenen Berufen mit verschiedenen Sprachkulturen gearbeitet. Ist man daher auch stets unterschiedlich mit ihnen umgegangen?

TAREK ELTAYEB: Sehr! Zuerst war ich Zeitungsverkäufer. Ich hatte in Österreich keinen Kulturschock, sondern eine Sprachschock. Ich kam in ein Land, in dem mein Mund keine Bedeutung mehr hatte. Ich wusste, dass niemand versteht, was ich sage. Ich habe mich darauf konzentriert mit den Augen zu sprechen und Stimmungen zu lesen. Ich konnte nur sagen: "5 Schilling." Ich hatte den Sprachschock. Und dann den Kälteschock. Ich erlebte, wie viele Menschen leben, auch ÖsterreicherInnen, die in schwierigen Situationen sind. Und vor allem viele MigrantInnen. Danach vermittelte man mich zu einer TV-Firma. Es war eine interessante Arbeit für mich. Aber ich habe nur die Hälfte meines Lohns bekommen. Den Rest hat die Vermittlerfirma kassiert. Dann gab ich Sprachunterricht um 50 Schilling und die Leute haben mich ausgelacht. "Bist du verrückt, arabisch zu unterrichten um 50 Schilling?" Aber ich hatte keine Relation, denn als Zeitungsverkäufer hatte ich für 5 Stunden 50 Schilling bekommen.

PLANET: Sie beschreiben dieses Leben auch in ihren Büchern.

TAREK ELTAYEB: Im arabischen Raum werde ich immer gefragt, warum ich einen Araber zeige, der es schwer hat in Europa. Ich denke, es ist wichtig, besonders jenen eine Stimme zu geben, die es schwer haben.

PLANET: Sie schreiben auf Arabisch. Einmal sagten sie, sie können auf Arabisch fliegen, auf Deutsch nicht. Hat das auch etwas mit Heimat zu tun?

TAREK ELTAYEB: Mag sein, dass das unbewusst ist. Aber ich gehe mit Sprache sehr vorsichtig um. Ich schätze Deutsch sehr. Es ist eine schöne Sprache. Aber mich bringt der Artikel im Deutschen um.

Als ich nach Österreich kam, hatte ich keine FreundInnen. Ich hatte 30 kg Gepäck von daheim mitgenommen, hatte meine FreundInnen verloren. Dann breitete ich diese 30 kg aus, um meiner Heimat in der neuen Umgebung Platz zu geben. Ich war isoliert. Also begann ich im Schreiben neue FreundInnen zu erfinden.

PLANET: Was erwarten sie heute von Österreich?

TAREK ELTAYEB: Wichtig wäre es, dass wir in Österreich nicht nur die Sprache haben, sondern auch die Mit-Sprache. Und dass man mit uns mit Sprache auch besser umgeht. Dass man uns die Sprache lehrt, uns korrigiert, damit wir lernen können.


Tarek Eltayeb, geboren als Sohn sudanesischer Eltern in Kairo, Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er lebt und arbeitet in Wien, Krems und Graz.

'Das Palmenhaus' ist Tarek Eltayebs neuester Roman.
Er ist im Frühling 2007 übersetzt von Ursula Eltayeb
im Verlag Hans Schiler, Berlin herausgekommen.
350 S., Euro 24,70.

Weitere Informationen über Tarek Eltayeb auf www.eltayeb.at/


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 50,
Oktober/November 2007, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2008