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FRAGEN/003: Gespräch mit Liza Marklund (welt der frau)


welt der frau 6/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Lizas Grenzgänge

Von Julia Kospach


Die schwedische Krimiautorin Liza Marklund will in ihren Büchern an die Grenzen gehen, um Tabus, Machtmissbrauch und falsche Selbstbilder zu sprengen. Dabei schont sie die eigene Heimat nicht.


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WdF: Sie sagen immer wieder, dass Sie durch Ihre Bücher die Gesellschaft verändern wollen. Ist Ihnen das schon gelungen?

LIZA MARKLUND: Als Journalistin schreibe ich seit 20 Jahren über das Thema familiäre Gewalt. Und es sitzen immer Männer in den Chefredaktionen, die mir sagen: "Oh Gott, Sie und Ihre ewigen Frauenthemen. Hört das nie auf?" Ich bin eine Frau. Was soll ich tun? Mir eine Kugel in den Kopf jagen? Meine zwei Dokumentarromane über eine misshandelte Frau ("Mia") sind die größten Erfolge, die ich je hatte. Allein in Schweden haben sie sich über 1,3 Millionen Mal verkauft. Im Herbst 2004 habe ich eine Serie von Dokumentarfilmen über Gewalt in der Familie gedreht, die über eine Million Zuschauer hatte. Zum ersten Mal war Gewalt in der Familie ein heiß diskutiertes Thema. Es ist, als hätte ich zwanzig Jahre ohne Antwort in einen Kübel hineingeschrien, und jetzt plötzlich zeigt meine Arbeit Wirkung. Jetzt ist es ein Thema für Parlamentsdebatten und ich hatte meinen kleinen Anteil daran. Das kollektive Bewusstsein hat sich verändert, und dieses verändert sich nur, wenn man mit Themen an die Öffentlichkeit geht.

WdF: Wie kommt es, dass es gerade im Norden Europas so viele gute Krimis gibt?

LIZA MARKLUND: In Skandinavien existiert eine lange Krimitradition und eine lange Tradition der Gesellschaftskritik. Was Schweden anlangt, mag das auch damit zusammenhängen, dass wir den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt haben. Es galt als in Ordnung, der Gesellschaft gegenüber Kritik zu üben, weil es keiner kollektiven Solidaritätsgesten bedurfte. Wir waren nicht in dem Maß wie der Rest von Europa gezwungen, Patrioten zu sein.

WdF: Warum ist die Gesellschaftskritik ein so prägendes Element des Schweden-Krimis?

LIZA MARKLUND: Es besteht einfach eine riesige Kluft zwischen unserem Selbstbild und der Realität. Einerseits vermitteln wir dem Rest der Welt das Gefühl, dass ihre Probleme daher rühren, dass sie nicht so sind wie wir Schweden. Das ist unsere Hybris. Wir halten uns für die Besten. Gleichzeitig wissen wir ganz genau, dass das nicht die Wahrheit ist. Wir haben ziemlich viel Gewalt in Schweden: Gewalt in der Familie zum Beispiel oder Gewalt durch Neonazis, die Gewerkschaftsführer und Polizisten getötet und vor einiger Zeit versucht haben, einen Journalisten in die Luft zu jagen. Zwei unserer wichtigsten Politiker der letzten 20 Jahre wurden Opfer von Mordattentaten auf der Straße. Das gibt es in anderen zivilisierten Ländern nicht. Wir sind eine gewalttätige Gesellschaft, die darauf besteht, das genaue Gegenteil zu behaupten.

WdF: Und Krimiautoren sind die Chronisten dieser gesellschaftlichen Brüche?

LIZA MARKLUND: Ganz genau.

WdF: Warum eignet sich der Krimi für diese Rolle so gut?

LIZA MARKLUND: Weil es in ihm um Leben und Tod geht. Ein Mensch, der einen anderen tötet, macht sich zum Herrscher über Leben und Tod. Das ist in jeder Gesellschaft verboten. Mord ist der schlimmste vorstellbare Machtmissbrauch, den ein Mensch begehen kann, und alle Krimis beschäftigen sich mit diesem großen Tabu.

WdF: Natürlich übertreiben sie dabei die gesellschaftlichen Bedingungen.

LIZA MARKLUND: Sie gehen an die Grenzen. Im Grenzgang liegt die Entdeckung.

WdF: Wir alle haben gelernt, dass in Schweden die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sehr viel fortgeschrittener ist als bei uns. Den Eindruck gewinnt man durchaus nicht, wenn man Ihre Bücher liest.

LIZA MARKLUND: In Schweden ist es auch nicht anders. Wir haben einen gewissen Fortschritt gemacht - vor allem deswegen, weil wir nicht im Krieg waren. Einiges funktioniert gut: Zum Beispiel haben wir wirklich ein gutes Kindergartensystem, und Frauen können ein Jahr lang mit 80 Prozent ihres Gehalts bei ihrem Kind zu Hause bleiben. Aber unser Gesundheitssystem ist schlecht, und wir sind Weltmeister im Ausnützen der Sozialhilfe.

WdF: Das Privatleben Ihrer Krimiserienheldin, der Journalistin Annika Bengtzon, ist in "Nobels Testament" auch nicht gerade von Glück gekennzeichnet. Während ihre journalistischen Recherchen immer tiefer gehen, bricht ihre Ehe endgültig auseinander, bedroht sie aufs Brutalste 6-jährige Kinder und lässt sich von ihrer besten Freundin nach Strich und Faden ausnutzen. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?

LIZA MARKLUND: Ich habe das Buch so geschrieben, weil ich Lust dazu hatte, und ich hoffe, dass die Leute es lesen werden, weil sie es interessant und fesselnd finden ... Außerdem wollte ich einen Anstoß zum Nachdenken darüber geben, was wir einander antun und wie weit wir zu gehen bereit sind, um Macht über andere zu erlangen.

WdF: Angesichts Ihrer Heldin, die in ihrer Dreifachrolle als Kriminalreporterin, Mutter und Ehefrau bisweilen vollkommen überfordert ist, kommen einem weibliche Freiheit und Selbstbestimmung wie eine ferne Utopie vor. Sind sie das?

LIZA MARKLUND: Eines Tages wird es vielleicht möglich sein, aber heute ist es Utopie. Es kann schon dazu kommen, wenn wir uns entschließen, dass sich die Gesellschaft in diese Richtung verändern soll. Das würde aber bedeuten, dass eine Menge Männer eine Menge Macht aufgeben müssten. Und das ist nicht sehr realistisch.


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Zur Person: Liza Marklund

In "Nobels Testament" wird Liza Marklunds Krimiserienheldin, die Journalistin Annika Bengtzon, Augenzeugin eines Mordes während der jährlichen Nobelpreis-Feierlichkeiten. Die Polizei erlegt ihr Redeverbot auf, ihr Chefredakteur stellt sie daraufhin auf Monate hinaus kalt. Annika recherchiert trotzdem und stochert bald in einem Haufen, in dem sich wissenschaftlicher und persönlicher Ehrgeiz, der Kampf um Forschungsgelder und persönliche Traumata in einer mörderischen Mischung vermengen. Liza Marklund, 45, schickt ihre Heldin einmal mehr in in eine Situation, aus der weder sie noch ihr familiäres Umfeld unbeschadet hervorgehen. Es ist die in eine Krimihandlung gepackte Geschichte eines durchaus repräsentativen modernen Frauenschicksals. Marklund kennt zweifelsohne alle Doppel- und Dreifachbelastungen: Die höchst erfolgreiche Schriftstellerin, Publizistin, Filmemacherin und Verlegerin ist verheiratet und hat drei Kinder. mit ihrer Familie lebt Marklund abwechselnd in Schweden und Südspanien.

BUCHTIPPS
Liza Marklund: "Nobels Testament", aus dem Schwedischen von
Anne Bubenzer, Hoffmann und Campe, 448 Seiten, Euro 22,70

Im rororo Taschenbuchverlag sind folgende Titel (à Euro 10,20)
von Liza Marklund erhältlich:
Olympisches Feuer; Studio 6; Paradies; Prime Time; Der Rote Wolf


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 6/2007, Seite 36-37
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2007