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BERICHT/072: Literaturschaffen von Frauen im Iran (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 106, 4/08

Wege aus dem "reinen Labyrinth
Shala Lahiji über Herausforderungen, Erfolge und Hindernisse im Literaturschaffen von Frauen im Iran

Von Helga Neumayer


Anfang Oktober 2008 waren einige erfolgreiche iranische Expertinnen aller Altersgruppen und aus verschiedenen Berufsfeldern wie Arbeitsmarktforschung, Architektur, Journalismus und Kulturschaffen zu Gast in der Diplomatischen Akademie in Wien.(1) Unter ihnen befand sich die iranische Verlagsleiterin(2) und Schriftstellerin Shahla Lahiji, eine der Gründerinnen und ersten Unterzeichnerinnen der aktuellen Kampagne "Eine Million Unterschriften fordern eine Änderung diskriminierender Gesetze"(3). Shala Lahiji ist bereits seit Jahrzehnten für ihr intellektuelles und soziales Engagement bekannt, sie musste dafür u.a. mit einer Freiheitsstrafe im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis büßen. In ihrem Vortrag erzählte sie über die führende Rolle der iranischen Frauen im Literatur- und Kulturschaffen. Im Folgenden einige Ausschnitte aus ihrem Vortrag, zusammengestellt von Helga Neumayer.


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Die einen halten die iranische Frau für ein unterdrücktes Wesen und die anderen für die Achse und den wichtigsten Faktor in den politischen Geschehnissen der letzten Jahre. Beide Darstellungen stimmen, denn die Iranerin heute füllt die Universitäten mit 65%, sie ist Fotografin und Taxifahrerin, Landwirtin und Baumeisterin. Und als Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin hat sie viele Preise erworben, aber ihr Erbanspruch ist nur die Hälfte jenes eines Mannes und wenn sie z.B. über ihre sexuellen Rechte spricht oder ein Ende der Diskriminierung fordert, kommt sie ins Gefängnis.


Politik mit Konsequenzen

Die Revolutionsführer haben zu Beginn der Revolution nie über die gesellschaftlichen Rechte der Frauen gesprochen und die Frauen haben damals die Einforderung ihrer Rechte verpasst. Es gab zwar eine kleine Gruppe von Frauen, die diese Gefahr wahrnahmen, aber sie konnten sich nicht durchsetzen und wurden von allen - Liberalen, Religiösen oder Linken - ignoriert. Der Ruf nach Frauenrechten wurde als feministisch, imperialistisch und westlich-orientiert bezeichnet. Speziell die berufstätige Frau stand im Schlaglicht der Kritik der Revolutionsführer und ziemlich schnell hatte diese Politik ihre tragischen Konsequenzen: Das Heiratsalter für Frauen wurde herabgesetzt, Berufsschulen für Frauen wurden geschlossen, es kam zu Berufsverboten, Expertinnen wurden aus Universitäten und Behörden ausgeschlossen, die Geburtenkontrolle wurde ausgesetzt und vieles mehr. Kurz darauf kam es zur Einführung der verpflichtenden Kopfbedeckung.


Das Gesicht der Medien verändert

Die Frauen hatten sich noch kaum von all diesen Schlägen erholt, da begann der Krieg zwischen Iran und Irak, der dem Regime neue Möglichkeiten der Stabilisierung bot. Die Frauen hatten die toten Soldaten zu beklagen oder sie mussten die Sachen ihrer hingerichteten Kinder vom Evin-Gefängnis abholen. Das Ende des Krieges war der Beginn der Frauen in der Literatur. Damals begann auch der Kampf von Frauen wie Shirin Ebadi, Mahrangiz Kar(4) und mir gegen Ungleichbehandlung. Eine neue Generation von Journalistinnen und Reporterinnen änderte das Gesicht der Medien. Es traten auch Autorinnen hervor, die Romane und Geschichten schrieben und die damit Millionen von Leserinnen aus der jungen Generation anzogen.


Schlafen mit Kopftuch

Die Verleger begannen, Schriftstellerinnen in ihr Repertoire aufzunehmen und ihre Bücher hatten einen Zuwachs von 100%. Das Wichtigste aber war der Inhalt der Bücher. Die Männer, die auch schrieben, hatten bis dahin nicht den Mut gehabt, die aktuelle Situation anzusprechen. Die Frauen aber trauten sich darüber zu schreiben. In Theaterstücken, Büchern und Gedichten thematisierten sie, was den Menschen im Land passiert war. Sie schrieben über den Krieg, über die Verhaftungen, über die, die ins Exil getrieben wurden und über den Widerstand und den Aufbruch der Frauen. Diese Bücher erlangten hohe Wiederauflagezahlen. Und dies in einer Zeit, in der es die Zensur immer noch gab und Schriftstellerinnen ihren festgelegten Rahmen nicht verlassen durften. Liebe, sexuelle Wünsche - das waren alles rote Linien, die nicht überschritten werden durften. Aber die Schriftstellerinnen haben es geschafft, ihre Botschaften zwischen den Zeilen zu vermitteln. Denn in der "reinen Literatur" darf man sich nicht küssen, nichts Liebevolles zueinander sagen und die Frauen schlafen mit Kopftuch; es werden keine Bestechungsgelder angenommen, keine Drogen konsumiert und niemand verkauft seinen Körper. Die Schriftstellerinnen mussten also Tricks anwenden, um aus diesem "reinen Labyrinth" herauszufinden. International hatte diese Literatur wenig Erfolg, vielleicht liegt ein Grund darin, dass die Autorinnen komplizierter und mehr zwischen den Zeilen schrieben. Hinzu kommt noch, dass die iranische Regierung keine internationalen Copyright-Verträge unterzeichnet hat, damit sie die Zensur aufrechterhalten kann.


Aufbruch und Ende einer Ära

Theater und Kino waren eine bessere Bühne für die internationale Präsenz der iranischen Frauen. Und obwohl erst zehn Jahre seit dem ersten ernst zu nehmenden Auftritt der Frauen im Kino vergangen sind, haben Drehbuchautorinnen, Produzentinnen und Regisseurinnen sowohl im Kino wie im Theater wichtige Werke auf die Bühne gebracht. Sie haben internationalen Widerhall gefunden und Auszeichnungen bekommen.

Diese Blütezeit kam allerdings in der zweiten Amtsperiode von Khatami(5) zu einem Ende. Und mit der Machtübernahme von Präsident Ahmadinejad(6) und dem von ihm ernannten Minister für Kultur wurde die Romanliteratur, die im Iran existierte, praktisch zum Stillstand gebracht. Der neue Minister findet nicht nur die Romanliteratur als unnötig, sondern er hat letztes Jahr auch feministische Werke mit pornographischen Werken gleichgesetzt und beides im Buch als auch im Film verboten.


Viele Bücher nicht erwünscht

Viele Bücher, die zuvor eine Dauergenehmigung gehabt hatten, wurden in diesem Jahr verboten. Unsere Bücher dürfen auch in Bibliotheken nicht aufgenommen werden, wir stehen auf einer Liste des Nicht-Da-Sein-Sollens. Wir haben auch keine Garantie für eine Druckgenehmigung, sie kann nach einem Monat oder nach fünf Jahren kommen. Aber wenn nach sechs Monaten nichts kommt, dann wird meist nichts daraus.

Es wird viel übersetzt, weil die Behörden mit diesen Büchern weniger streng sind. Manchmal machen wir interessante Sachen bei Übersetzungen, wir müssen das Buch zerlegen, Leute verheiraten und alles, was mit Sexualität zu tun hat, weglassen und Keuschheitsgürtel anlegen. Aber die Übersetzungen können nie die lokale, die regionale Literatur ersetzen.


Zivile Bewegungen vorantreiben

Ich glaube, wir haben einmal eine Revolution gemacht und das reicht uns für alle Zeiten. Und einmal ist das iranische Volk bereits aus dem Schlaf erwacht. Menschen haben versucht, anstelle einer Revolution in einer zivilen Bewegung eine Veränderung herbeizuführen. Sie haben eine Wende in die Geschichte des Iran gebracht. Das hat es bis zur Wahl Khatamis noch nie gegeben, dass so viele Menschen freiwillig an einer Wahl teilnehmen, 23 Millionen Stimmen hat er bekommen, vor allem von Frauen und jungen Menschen. Aber es gab großen Gegendruck. Wir haben nicht gelernt, nachdrücklich zu sein in zivilen Prozessen. Gegen die Kampagne "Eine Million Unterschriften fordern eine Änderung diskriminierender Gesetze" wird sehr viel Widerstand geleistet, aber die Initiative hat eine Eigendynamik entwickelt und alle, die unterschreiben, fangen selber an, Unterschriften zu sammeln. Wir müssen lernen, zivile Bewegungen voranzutreiben!


Anmerkungen:

(1) Die iranischen Expertinnen wurden von der Österreichisch-Iranischen Gesellschaft und proFrau zum Symposion "Frauen in Iran heute, im Spannungsfeld zwischen Tradition und Partizipation. State of the Art" (3. und 4. Oktober 2008] eingeladen. Der Vortrag wurde von Maziar Khosravipour simultan vom Persischen ins Deutsche übersetzt (www.fraueniniran.at).

(2) Shala Lahiji ist die Leiterin des Roshangaran-Verlags, den sie 1983 gründete.

(3) Die Kampagne "Eine Million Unterschriften fordern eine Änderung diskriminierender Gesetze" wurde 2006 ins Leben gerufen und wird von vielen im In- und Ausland unterstützt (www.change4equality.com).

(4) Mehrangiz Kar ist Juristin und Autorin und lebt heute im Exil.

(5) Mohammad Khatami war der fünfte Staatspräsident des Iran und wurde von vielen jungen Menschen und Frauen am 23. Mai 1997 (mit zweiter Amtszeit bis 2005) gewählt, weil er vorher versprach, deren Rechte zu stärken und Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Gleichberechtigung aufzubauen. Er stieß bei seinen Reformbestrebungen allerdings auf den Widerstand der religiös-konservativen Kräfte der iranischen Staatsführung.

(6) Mahmud Ahmadinejad ist seit 2005 der sechste Staatspräsident des Iran und unterstützt den Hardliner-Flügel der islamistisch geprägten politisch-religiösen Führung des Landes. Human Rights Watch konstatiert für seine Amtszeit eine Verschlechterung der grundlegenden Menschenrechte wie Meinungs- und Versammlungsrecht seit 2006 und bringt Menschenrechtsverletzungen direkt mit dem Justizapparat unter Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei und mit Präsident Ahmadinejad in Verbindung.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 106, 4/2008, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Berggasse 7, 1090 Wien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009