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BERICHT/069: Tiere, Improvisation, Literatur (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 09.12.2008

Tiere, Improvisation, Literatur


"Sagen Sie mir Ihr Verhältnis zu Schmerzen und zu Tieren, und ich sage Ihnen, aus welchem Jahrhundert Sie kommen." Roland Borgards muss es wissen: Der neue Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Würzburg hat sich bei seiner Habilitation ausgiebig mit dem Thema Schmerz befasst. Sein aktuelles großes Thema sind Tiere und ihre Rolle in der Literatur-, Kultur- und Wissensgeschichte.

"Es geht mir um Fundamentales in unserer Kultur", sagt der neue Professor, "und wer die Stellung des Menschen in der Welt beschreiben will, kommt um die Themen Schmerzen und Tiere nicht herum." Ein Beispiel? Im 17. Jahrhundert wollten die Menschen ihre Schmerzen aushalten. Sie sahen darin eine Strafe Gottes und eine Bewährungsprobe für ihren Glauben. Auch fühlten sie sich dadurch Christus nahe, der am Kreuz gelitten hatte.

Heute dagegen gelte Schmerz als Indikator für das Leben. "Wenn du morgens aufwachst und dir tut nichts mehr weh, dann bist du tot" - diesen Spruch dürfte jeder kennen. Selbst der Vitalitätstest beim Zahnarzt setzt auf Schmerzen: Wenn ein Zahn vereist wird und daraufhin weh tut, dann lebt er noch.

Borgards: "Solche Einstellungen haben Folgen für das Selbstverständnis des Menschen und werden in der Literatur entsprechend unterschiedlich thematisiert."

Das gilt auch für das Verhältnis der Menschen zu Tieren. Dem Professor zufolge benutzen wir Tiere, um die Welt zu ordnen. Das zeigt sich schön am Beispiel des Hundes: Der hat mit Eigentum zu tun, denn als Wachhund beschützt er ein Territorium. Der Hund unterscheidet auch zwischen Freund und Feind. Darum ist er eine Metapher für Abgrenzung. Mit Hunden lassen sich zudem Herrschaftsverhältnisse thematisieren: der Hund ist der Freund des Menschen, hat ihm aber zu gehorchen. Darum steht er auch für Unterwerfung. "Wo taucht der Hund in welcher Weise in der Literatur auf? Wenn man das beantwortet, kann man viel über unsere Kultur erfahren", sagt Borgards.

Welche Rolle Tiere in der Literatur-, Kultur- und Wissensgeschichte spielen: Damit will sich Roland Borgards in den kommenden Jahren schwerpunktmäßig befassen. Seine Forschungsarbeit möchte er interdisziplinär gestalten, denn sie knüpft an viele andere Fächer an: etwa an Zoologie, Theologie, Philosophie, Rechtswissenschaft. Das derzeit kleinere Thema von Borgards heißt Improvisation und Literatur. "Wer von Improvisation spricht, denkt eher an Musik, Tanz und Theater", sagt er. "Aber auch Literatur kann mit Improvisation zu tun haben."

Gedichte aus dem Stegreif aufzusagen, darum geht es bei den so genannten Poetry Slams, die auch in Würzburg regelmäßig stattfinden. Beim Theater dienen fertige Texte als Material für Improvisationen, und schließlich gibt es Texte, die über Improvisation geschrieben wurden. Etwa den Roman "Der Improvisator" von Hans Christian Andersen. Ein spannendes Betätigungsfeld. Auch hier strebt Borgards Kooperationen an, etwa mit Musik- oder Theaterwissenschaftlern. "In Würzburg gibt es ja eine Szene für Impro-Theater, da lassen sich bestimmt gemeinsame Veranstaltungen auf die Beine stellen."

Borgards Faible für das Thema Improvisation kommt nicht von ungefähr. Er spielt Saxofon in einem "halbprofessionellen Umfeld", wie er sagt. Gemeinsam mit Berufs- und Hobbymusikern sei er schon in größeren Konzerthallen aufgetreten. Derzeit aber fehle ihm dafür leider die Zeit.

Roland Borgards wurde 1968 in Saarbrücken geboren. Er studierte von 1990 bis 1997 Germanistik, Philosophie, Geschichte und Musikwissenschaft in Freiburg, Lyon und Gießen. Seine Promotion absolvierte er am Gießener Graduiertenkolleg "Klassizismus und Romantik"; 2006 folgte die Habilitation an der Universität Gießen. Seit 1. Oktober 2008 ist Borgards Professor für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Würzburg.

Eine Auswahl seiner Publikationen: "Sprache als Bild. Handkes Poetologie und das 18. Jahrhundert" (2001), "Poetik des Schmerzes. Physiologie und Literatur von Brockes bis Büchner" (2005), "Wolf, Mensch, Hund. Theriotopologie in Brehms Tierleben und Storms Aquis Submersus" (2007).

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Margarete Pauli, 09.12.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2008