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BERICHT/053: "Don Quijote" in der englischen Literatur (idw)


Friedrich-Schiller-Universität Jena - Pressemitteilung vom 12.12.2006

Inspiration durch einen tragikomischen Helden


Anglisten der Universität Jena untersuchen Rezeption des "Don Quijote" in der englischen Literatur

Jena (12.12.06) Er ist der "Ritter von der traurigen Gestalt". Don Quijote, der Held aus Cervantes' 1605 veröffentlichen Roman, lebt in einer "Bücherwelt", die sein Denken und seine Wertvorstellungen prägt. "Er projiziert die literarische Welt seiner zahllosen Ritterromane in die Realität, was unweigerlich zu Kollisionen führt", macht Prof. Dr. Wolfgang Müller von der Friedrich-Schiller-Universität Jena das Dilemma Quijotes deutlich. "Doch gerade die Darstellung des tragischen Scheiterns seines Helden an der Wirklichkeit macht den Roman zu einem in vielerlei Hinsicht innovativen Text", sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Anglistische Literaturwissenschaft.

So habe Cervantes die europäische Literatur wie kein Zweiter beeinflusst. In Frankreich, Deutschland und vor allem England inspirierte er die Arbeit großer Autoren. "Der Roman wirkte wie ein Katalysator beim Durchbruch zu neuen Formen und Gattungen in der Erzählkunst", ordnet Prof. Müller dessen Bedeutung ein. Wie es ein glücklicher Zufall wollte, fiel die wichtigste Phase der Vorbereitung eines längerfristig von ihm geplanten Forschungsprojekts zur Tradition und Rezeption des spanischen Werks in der englischen Literatur in das vergangene Jahr - das 400. Jahr nach dem Erscheinen des "Don Quijote". Inzwischen haben Prof. Müller und einige Kollegen die Projektarbeit aufgenommen, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft bis 2009 durch Personal- und Sachmittel unterstützt.

Die Spuren, die "Don Quijote" in der englischen Literatur hinterlassen hat, sind vielfältig. So trug das Werk entscheidend zur Entstehung des auktorialen Romans bei, in dem ein allwissender Erzähler auftritt: Henry Fieldings "Tom Jones" oder "Joseph Andrews" sind ebenso von "Don Quijote" inspiriert, wie die historischen Romane Sir Walter Scotts. Den Grund dafür sehen die Sprachwissenschaftler um Prof. Müller in der hohen erzähltechnischen Komplexität und dem großen Facettenreichtum in Cervantes' Werk. "Dabei wirkte der Roman nie als einschüchterndes Vorbild, sondern vielmehr als inspirierendes Modell", sagt Prof. Müller und fügt hinzu: "Cervantes' Roman steht am Beginn der europäischen Romantradition und ist zugleich ihr bis heute unübertroffener Höhepunkt".

Das aktuelle Forschungsprojekt teilen sich die Wissenschaftler der Jenaer Universität in drei Einzelprojekte auf. "Das erste untersucht Formen der literarischen Cervantes-Rezeption unter dem Aspekt von Imitation und Innovation", erläutert Projektleiter Müller. Dichter wie Henry Fielding, Laurence Sterne, Walter Scott und Charles Dickens stehen dabei im Mittelpunkt. Das zweite Teilprojekt setzt sich mit der Tradition von Texten auseinander, welche die männliche Quijote-Figur durch eine weibliche ersetzen, wie Werke von Charlotte Lennox oder Jane Austen. Eine dritte Fragestellung bezieht sich auf das semantische Schicksal, das Schlüsselwörter wie etwa "locura" und "ingenioso" in englischen Übersetzungen und fiktionalen Folgewerken haben. Diese Worte beziehen sich im spanischen Original auf Don Quijotes Charakter und speziell seinen Geisteszustand: "Locura" bedeutet "Verrücktheit", "Wahnsinn" oder "Narrheit". "Ingenioso" wird im Deutschen durch "sinnreich" und "scharfsinnig", aber in einer frühen Übersetzung auch durch "genial" wiedergegeben. "Die Übersetzungen sind immer auch Interpretationen, die auf der Grundlage des jeweiligen Kulturzustands erfolgen", so Prof. Müller.

Kontakt:
Prof. Dr. Wolfgang G. Müller
Institut für Anglistik/Amerikanistik der
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ernst-Abbe-Platz 4, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944510
E-Mail: x7muwo@rz.uni-jena.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-jena.de


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Ute Schönfelder, 12.12.2006
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