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SPRACHE/774: Die "Latin Lovers" (forsch - Uni Bonn)


forsch 1/2012 - Februar 2012
Bonner Universitäts-Nachrichten

Die "Latin Lovers"

Viel mehr als eine Sprache: Latein ist eine "Denkschule"

von Ulrike Eva Klopp


Mit seinem Latein am Ende sein - wörtlich zugetroffen hat dieser Spruch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wohl des öfteren. Damals legten Studenten ganz selbstverständlich Prüfungen in dieser Sprache von Wissenschaft, Literatur und Kirche ab. Zwischenzeitlich war Latein vielfach eher Last als Lust. Überraschend viele Erstsemester haben sich nach Wiederaufnahme des Lehramtsstudiums in Bonn für Latein entschieden: Sie wollen dafür sorgen, dass ihre künftigen Schüler von Anfang an Spaß an dieser Sprache haben. Und sie wollen vermitteln, dass Latein eine wahre Denkschule - oder moderner: ein Trainingslager - ist.


Ein Plädoyer für Latein hat David Wysk schon in der neunten Klasse für seine Schülerzeitung verfasst. "Wenn wir unser Tun nur vom Nützlichkeitsdenken bestimmen lassen, kämen wir nicht einmal zum Küssen", beginnt es. Heute wiederholt er als Student im ersten Semester: Bei Latein geht es nicht nur um eine Sprache, sondern um Schlüsselkompetenzen. Gründliches Arbeiten, präziser Ausdruck, Zusammenhänge erfassen - das wirkt auch auf die Muttersprache und andere Lebensbereiche. Außerdem weckt Latein Interesse an Geschichte, Kultur, Politik, Theologie. Dozent Dr. Heinz-Lothar Barth bestätigt: Wer in Latein gut ist, hat meist eine umfassende Allgemeinbildung. Spaß an Latein hatte auch Jonathan Leh in der Schule. "Für andere war das ein 'Hassfach', die verstanden mich überhaupt nicht. Ich will ein Lehrer werden, der mehr Schülern Spaß an Latein macht", sagt er. Denn wer verpasst hat, für eine solide Basis zu sorgen, kann das später kaum nachholen.


Von wegen "tote Sprache"

Früher gehörte Auswendiglernen zum Lateinunterricht. Nicht immer beliebt, aber noch lange nach dem Abi konnten manche Passagen aus Ovids "Daedalus und Ikarus" oder Caesars "De bello Gallico" zitieren. Die jetzigen Erstsemester kennen das aus der Schule fast gar nicht, dafür Comics auf Latein und ähnliche Motivationshilfen. Dabei meinen sie selbst: Auswendiglernen trainiert nicht nur das Gedächtnis insgesamt, sondern erleichtert auch das Vokabellernen durch Sinnzusammenhänge. Latein unterliegt keinen Entwicklungen mehr, und Ziel des Unterrichts ist nicht die Unterhaltung oder gar Diskussion in dieser Sprache - insofern ist sie tatsächlich wenig lebendig. Dabei könnte Latein die ideale, weil neutrale Weltsprache sein. Wie ihre Mitstudenten hat Elisabeth Beerens die lateinische Sprache nur "passiv" gelernt, würde das aber gern ändern. Dr. Barth nickt: Latein werde zu stark als Literaturwissenschaft und zu wenig als Sprache vermittelt. Er selbst hat schon zweimal beim Dies Academicus Vorträge auf Latein gehalten. "Der Andrang war viel größer als erwartet. Ich habe so einfach wie möglich gesprochen - und gerade Ältere haben sogar an den richtigen Stellen gelacht." Er ist Mitglied im Bonner Kreis, einer über 150 Jahre alten Interessengemeinschaft für Latein, in der Studierende verschiedener Fächer lateinische - und manchmal auch griechische - Texte im Original gemeinsam lesen. Heutige "Latin Lovers" üben sich auch darin, moderne Begriffe kreativ zu übersetzen. So heißt Desktop "tabula operatoria computatorii" oder e-mail "nuntius electronicus". Als Student stand Dr. Barth bei Theaterstücken in lateinischer Sprache auf der Bühne. Die gibt es auch jetzt noch. Allerdings haben die Studierenden heute einen dichten Lehrplan und vielfach Nebenjobs, so dass für solches Engagement kaum noch Zeit bleibt.

Außer für ihre zwei Fächer plus Bildungswissenschaften arbeiten die künftigen Lateinlehrer zusätzlich für das Graecum an ihren Griechischkenntnissen - verpflichtend wie umgekehrt das Latinum für künftige Griechischlehrer. Das heißt, die meisten müssen es nachholen. Hier sehen sich die Studenten in der Zwickmühle: Nachweisen müssen sie das Graecum zwar erst später zum Vorbereitungsdienst. Aber viel sinnvoller ist, was man schon im Studium lernt und anwenden kann. "Es macht Spaß und deshalb geht es irgendwie - aber derzeit habe ich eine 60 Stunden-Woche. Latein, dazu Griechisch, Französisch und Bildungswissenschaft an der Uni, außerdem gebe ich Nachhilfe", sagt David Wysk. Seiner Kollegin geht das ähnlich: Elisabeth Beerens überlegt: "Vielleicht könnte man zur Entlastung mit den Bildungswissenschaften etwas später anfangen?" Jonathan Leh wünscht Nachfolgern einen "Aufwärmkurs" in Latein. Denn heute geht das Fach vielfach nicht mehr bis zum Abitur, sondern nur bis Klasse 11 - eine Lücke vom Latinum bis zur Aufnahme des Studiums entsteht.


Licht und Schatten

"Für unsere etwa fünfzig Fachstudenten ist die Betreuungsrelation so, dass man sich kennt und gut zusammen arbeiten kann", sagt Dr. Barth. In den Nachholkursen für das Latinum sind im Wintersemester 400 Teilnehmer - das sei nur mit der Hilfe von Lehrbeauftragten zu schaffen. Latein hat erhöhten Zulauf: Durch die Wiedereinführung der Lehramtsstudiengänge, durch steigende Studentenzahlen und entsprechend mehr Nachholer. Das Latinum ist weiterhin für eine Reihe von Fächern verpflichtend - wenn auch nicht mehr in allen, bei denen man es annehmen könnte. In Medizin wurde es durch Fachterminologie-Kurse mit Prüfung ersetzt. In Jura muss das Latinum erst bei einer Promotion vorliegen, vorher genügt ebenfalls Fachterminologie, und Redewendungen wie "In dubio pro reo" versteht man auch so: Im Zweifel für den Angeklagten. Als Denkschule wird Latein aber auch hier geschätzt. Wer Fächer wie Englisch, Französisch, Religion, Geschichte oder Philosophie unterrichten will, muss das Latinum mitbringen. Die zwei Nachholkurse an der Uni reichen nicht, es muss das staatliche Latinum mit Ergänzungsprüfung bei der Bezirksregierung sein. "Ideal wäre deshalb mindestens ein dritter Vorbereitungskurs. Aber den schaffen wir mit den derzeitigen Lehrkapazitäten nicht, hier muss noch aufgestockt werden", sagt Dr. Barth. Er macht keinen Hehl aus seiner Kritik an Strukturen der Studienreform und fehlenden Ressourcen. Die Sprache der "Denkschule" hat ganz alltagstaugliche Sprüche bereit, und dem Dozenten kommt besonders einer öfter in den Sinn: "Difficile est satiram non scribere - Es ist schwierig, darüber keine Satire zu schreiben."


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 1, Februar 2012, Seite 20-21
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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forsch erscheint viermal pro Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2012