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SPRACHE/675: Wie und warum eine Sprache funktioniert (idw)


Humboldt-Universität zu Berlin - 27.11.2009

Wie und warum eine Sprache funktioniert

Der Sonderforschungsbereich 632 "Informationsstruktur" der Humboldt-Universität zu Berlin veröffentlicht wichtige Resultate zu Sprachstruktur und -erwerb


Die Tradition Wilhelm von Humboldts, einem der Gründer der modernen Sprachwissenschaft, wird im Sonderforschungsbereich (SFB) 632 "Informationsstruktur: Die sprachlichen Mittel der Gliederung von Äußerung, Satz und Text" der Humboldt-Universität zu Berlin weitergeführt. In diesem Forscherverbund kooperieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der Linguistik, Psychologie und Germanistik der Universität Potsdam sowie Linguistik und Afrikanistik der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Forscherverbund wurde 2003 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtet und befindet sich gegenwärtig in seiner zweiten Arbeitsphase.

Unter "Informationsstruktur" versteht man die Strukturierung von sprachlicher Information, typischerweise zum Zweck der Optimierung des Informationstransfers im Diskurs. Die zugrunde liegende Vorstellung ist, dass dieselbe Information je nach Hintergrund und Ziel des Diskurses verschieden aufbereitet und unterteilt werden muss. Ein Beispiel: Die Frage Wer singt den Otello? kann mit Den Otello singt Pavorotti beantwortet werden, wohingegen Was singt Pavorotti? in der Regel mit Pavarotti singt den Otello beantwortet wird. Die Form des sprachlichen Ausdrucks passt sich dabei an das augenblickliche Informationsbedürfnis an, und dieses ist im Kontext der beiden Fragen jeweils verschieden: Die erste fragt nach dem Sänger, die zweite nach der Rolle.

Dieses Erfragte wird "Fokus" genannt; der Fokus ist ein wichtiger Aspekt der Informationsstruktur. Es zeigt, dass sich die Sprachen in der Art der Fokushervorhebung durchaus unterscheiden: Einige stellen den Fokus vor das Verb (Ungarisch), andere kennen nur eingeschränkte Akzentuierungsmöglichkeiten (Italienisch), wieder andere markieren den Fokus nur dann regelmäßig, wenn es sich um das Subjekt handelt (verschiedene westafrikanische Sprachen). Der SFB 632 untersucht Fokus und andere Aspekte der Informationsstruktur nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen europäischen, afrikanischen, mittelamerikanischen und asiatischen Sprachen. Darüber hinaus wird in Experimenten erhoben, welchen Einfluss die Informationsstruktur auf das Sprachverständnis hat und wie die dahinterstehenden grammatikalischen Regeln von Kindern erworben werden.

Wichtige Forschungsresultate des SFB 632 wurden kürzlich in einem bei Oxford University Press erschienenem Sammelband vorgestellt, der Beiträge von SFB-Mitarbeitern und Gastwissenschaftlern vereinigt. Das Werk verbindet in neuartiger Weise theoretische Aspekte mit solchen der sprachvergleichenden und -historischen Forschung sowie Ergebnissen der Psycholinguistik. Dabei stehen drei Aspekte im Mittelpunkt des Interesses: Das Zusammenspiel der relevanten sprachlichen Ebenen, wie z.B. Satzbau und Wortwahl im Ausdruck der Informationsstruktur, eine sprachvergleichende Typologie der informationsstrukturierenden Ausdrucksmittel sowie die kognitive Verarbeitung der Informationsstruktur.

In den Sonderforschungsbereich "Informationsstruktur: Die sprachlichen Mittel der Gliederung von Äußerung, Satz und Text" sind 15 Projekte mit insgesamt 42 Wissenschaftlern involviert. Gemeinsame Ziele sind die Formulierung integrativer Modelle der Informationsstruktur, die Ergründung der Einflüsse der Informationsstruktur in den verschiedenen Teilgebieten der Sprachwissenschaft, das Studium der Einbettung informationsstruktureller Gesetze in die menschliche Kognition bei Verarbeitung und Erwerb einer Sprache sowie die Umsetzung der Erkenntnisse in praktische Anwendungen.

Malte Zimmermann & Caroline Féry, Information Structure: Theoretical, Typological, and Experimental Perspectives, Oxford University Press, 29. Oktober 2009. 352 Seiten.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution46


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Humboldt-Universität zu Berlin, Thomas Richter, 27.11.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2009