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SPRACHE/607: Saterfriesisch - eine aussterbende Sprache (highlights - Uni Bremen)


highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen

Gauden Dei!(*)

(*) saterfriesisch für "guten Tag"


Scharrel, Strücklingen, Ramsloh und Sedelsberg: Vier Orte von vielen im Nordwesten Deutschlands, in der weiten, moorigen Region zwischen Oldenburg und der holländischen Grenze. Und doch etwas Besonderes, denn zusammen bilden sie die Gemeinde Saterland. Und die hat etwas Einzigartiges, nämlich eine eigene Sprache - das Saterfriesisch. Sprachwissenschaftler und Linguistik-Studierende der Universität Bremen arbeiten daran, diese aussterbende Sprache für die Nachwelt zu sichern und Lehrmaterialien zu entwickeln.

Schäddel, Truckelje, Roomelse und Säidelsbierich - danach kann man auf der niedersächsischen Landkarte lange suchen. Erst rund ums Saterland findet man Menschen, die mit diesen Dorfnamen etwas anzufangen wissen. Mittlerweile stehen diese Namen auch wieder auf den Ortschildern. "Bis zum 2. Weltkrieg war das Saterland sehr abgeschieden. Erst nach Kriegsende, durch den Zuzug von Flüchtlingen und die verbesserte Infrastruktur, wurde dieses geschlossene Sprachgebiet aufgebrochen", sagt die Linguistin Dr. Christel Stolz vom Institut für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft (IAAS) der Universität Bremen. Das hatte Folgen für das Saterfriesische, den letzten Rest des ausgestorbenen Ostfriesisch: "Die Sprache verschwindet langsam. Sie wird nur noch in einigen Familien gesprochen, und dort in der Regel nur von den Älteren. Man hat versäumt, diese Sprache an die Kinder weiterzugeben - oder die haben sich geweigert, sie zu lernen", so Christel Stolz.


"Moderne" saterfriesische Wörter gibt es nicht

Höchste Zeit also, die Sprache zumindest wissenschaftlich zu erforschen und den Sprachschatz für die Nachwelt zu sichern. Auch der Heimatverein im Saterland, der Seelter Buund, bemüht sich seit Jahren um den Erhalt der Sprache. Deshalb ist man dort froh, dass Christel Stolz und ihre Studierenden seit einiger Zeit aktiv mithelfen, die Sprache aufzuzeichnen und Lehrmaterialien zu entwickeln. Das bedeutet viel Grundlagenarbeit, denn Saterfriesisch war immer eine gesprochene Sprache - aber nicht eine geschriebene. Deshalb sind saterfriesische Wörterbücher und Schriften bislang eher selten. Und "moderne" Wörter, etwa aus den Bereichen Rockmusik oder Computer, gibt es gar nicht.

Besonders interessant ist das Saterfriesische für die Bremer Linguistik-Studierenden, die sich seit einigen Semestern mit der Sprache beschäftigen. Saterfriesisch-Lehrerin Johanna Evers aus Strücklingen hat ihnen in Schnupperkursen an der Bremer Uni die Sprache nähergebracht. In den Linguistik-Seminaren von Christel Stolz lernten sie neben dem historischen und sozialen Hintergrund auch, wie und mit welchen Methoden Daten in der Feldforschung erhoben werden. Bei einer gut vorbereiteten Exkursion nach Scharrel arbeiteten die Studierenden praktisch mit Saterfriesisch-Muttersprachlern: Vorbereitete Texte wurden von diesen vorgelesen und dabei als Audiodateien aufgezeichnet. "Das Ziel ist, diese Sprache ordentlich und nach internationalen wissenschaftlichen Maßstäben zu dokumentieren", sagt Anna Wetjen, Linguistik-Studentin im 10. Semester. "Dazu gehört die Erarbeitung einer Grammatik, aber auch das soziolinguistische Herangehen - also die Untersuchung der Sprache im sozialen Kontext." Die Ergebnisse sollen mittelfristig über das Internet auch einem internationalen Publikum zugänglich gemacht werden.

Eines der wichtigsten Vorhaben, an denen Studierende, Wissenschaftler und Heimatverein derzeit arbeiten, ist jedoch die Erstellung von Lernmaterialien - natürlich auf wissenschaftlicher Grundlage. "Wir orientieren uns dabei an Übungsmaterial, das ein Institut in Schleswig-Holstein für das Nordfriesische geschaffen hat", sagt Johanna Evers. "Das ist sehr schlüssig aufgebaut, so dass wir das Rad nicht noch einmal neu erfinden müssen." Für die Studierenden bedeutete das, das Lehrmaterial zunächst vom Nordfriesischen ins Hochdeutsche übertragen zu müssen - um es dann durch die Saterfriesen in deren Sprache vorlesen zu lassen. "Viele Dinge waren dabei nicht 1:1 übertragbar", sagt die Studentin Kristina Beyer. "Manche Sachen werden im Saterfriesischen nur umschrieben - es gibt darin zum Beispiel kein Wort für 'Gespräch'".


Linguistik-Studierende lernen praxisnah

Christel Stolz freut sich, dass die "Sprachinsel Saterland" relativ nah zur Uni Bremen liegt und interessierte Linguistik-Studierende so äußerst praxisnah ausgebildet werden können. "Die finden das sehr spannend, denn es gibt immer wieder etwas Neues zu entdecken. Das Saterfriesische ist noch lange nicht voll erforscht." Der Erhalt dieser Sprache liegt ihr sehr am Herzen, denn "sterbende Sprachen haben keine Lobby. Wenn die Eisbären aussterben, gibt es einen großen Aufschrei. Sprachen verschwinden ganz still und leise - und sind trotzdem ein großer Verlust für die kulturelle Vielfalt der Menschheit."


Institut für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft
Dr. Christel Stolz
E-Mail: cstolz@uni-bremen.de
www.fb10.uni-bremen.de/iaas


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Saterfriesisch

ist eine aussterbende Sprache. Gesprochen wird sie noch von rund 2.500 Menschen im Saterland. So heißt auch die Gemeinde, die aus den vier Ortsteilen Scharrel, Strücklingen, Ramsloh und Sedelsberg gebildet wird. Das Saterland gilt als "kleinste Sprachinsel Europas", was sogar zu einem Eintrag im "Guinness-Buch der Rekorde" geführt hat. Die saterfriesische Sprache ist der letzte Rest des sonst ausgestorbenen Ostfriesischen. Das Saterfriesische erhielt sich, weil die vier Orte über Jahrhunderte nur auf dem Wasserweg zu erreichen waren - denn sie waren von Mooren umschlossen, die man höchstens im Winter zu Fuß über das Eis überqueren konnte. Diese Abgeschiedenheit führte dazu, dass im Saterland nicht - wie im übrigen Nordwesten - das Nieder- oder Plattdeutsche die Oberhand gewannen. Seit einigen Jahren wird die saterfriesische Sprache erforscht; erst nach dem 2. Weltkrieg hatte man überhaupt begonnen, Rechtschreibregeln für sie festzulegen. 1980 erschien erstmals ein "Saterfriesisches Wörterbuch". Seither gab es weitere Veröffentlichungen in der saterfriesischen Sprache. Mit "spielerischem Saterfriesisch" im Kindergarten, als Wahlfach in der Schule sowie mit Kursen für Interessierte versuchen engagierte Saterländer, die Sprache am Leben zu halten. Dabei arbeitet man auch eng mit Wissenschaftlern zusammen.


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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 20 - Dezember 2008, S. 20-22
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen,
Redaktion: Universitäts-Pressestelle
Postfach 33 04 40, 28334 Bremen,
Telefon: 0421/218-60150
Email: presse@uni-bremen.de
WWW: http://www.uni-bremen.de/campus/campuspress/highlights


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2009