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SPRACHE/459: Sprachdokumentation im Iran (idw)


VolkswagenStiftung - 30.03.2007

Sprachdokumentation im Iran: Forschung in schwierigem Umfeld

1,37 Millionen Euro bewilligt: VolkswagenStiftung bringt sechs Vorhaben zur Dokumentation bedrohter Sprachen auf den Weg


Die VolkswagenStiftung unterstützt mit rund 1,37 Millionen Euro sechs weitere Projekte in ihrer Initiative zur "Dokumentation bedrohter Sprachen". Diese Förderinitiative hat zum einen das Ziel, sowohl die Wissenschaft als auch die Öffentlichkeit für die Problematik "aussterbender Sprachen" zu sensibilisieren. Vor allem aber geht es darum, die in ihrer Existenz bedrohten Sprachkulturen so weit aufzuzeichnen, dass spätere Generationen von Linguisten anhand des dokumentierten Materials noch die ganze Sprache beschreiben können. So soll zumindest verhindert werden, dass Sprachen verschwinden, ohne im kulturellen Gedächtnis der Welt eine Spur zu hinterlassen. Unter anderem wurden jetzt Mittel für folgende Projekte - für jeweils drei Jahre - bewilligt:

1.) 296.500 Euro für das Vorhaben "Documentation of Gorani, an endangered language of the Kermansah province (West Iran)" von Professor Dr. Ludwig Paul vom Asien-Afrika-Institut (Abteilung für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients, Arbeitsbereich Iranistik) der Universität Hamburg - in Zusammenarbeit mit Privatdozent Dr. Geoffrey Haig vom Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Kiel und Professor Dr. Philip Gerrit Kreijenbroek vom Seminar für Iranistik der Universität Göttingen;

2.) 295.000 Euro für das Vorhaben "Documentation of Savosavo, a Papuan language of the Solomon Islands" von Professorin Dr. Eva Schultze-Berndt und Claudia Wegener von der School of Languages, Linguistics and Cultures der Universität Manchester - in Zusammenarbeit mit Professorin Dr. Ulrike Mosel vom Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Kiel;

3.) 116.400 Euro für das Vorhaben "Multimedia Encyclopedic Lexicon of the Tuamotuan and Marquesan Languages" von Professorin Dr. Ulrike Mosel und Dr. Gabriele H. Cablitz vom Seminar für Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft der Universität Kiel in Zusammenarbeit mit Peter Wittenburg vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen.

Es folgen Informationen zu diesen drei Vorhaben; im Anschluss finden Sie zudem einen Überblick der weiteren neu bewilligten Sprachdokumentationsprojekte.

Zu 1.
Erstmals bewilligt die VolkswagenStiftung ein Dokumentationsprojekt, das sich einer bedrohten Sprache im Iran annimmt. Eine weitere Besonderheit: Es werden religiöse Texte aufgearbeitet. Das Forscherteam aus Hamburg, Kiel und Göttingen befasst sich mit dem Gorani im Westen Irans. Es gehört zur westlichen iranischen Sprachenfamilie und war zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert die Sprache am Hof der unabhängigen Herrscher von Ardalan. Heute sprechen nur noch rund tausend bis 1.500 Menschen das Gorani, das sowohl vom Kurdischen als Hauptsprache der Region als auch vom Persischen als Nationalsprache bedroht wird. Die Sprache ist unter kulturellen Gesichtspunkten besonders interessant, da die Goranen der seltenen schiitischen Religionsgemeinschaft der Ahl-e Haqq angehören.

Die Wissenschaftler wollen einen Korpus von Audio- und Videoaufnahmen erstellen und konzentrieren sich inhaltlich auf fünf Schwerpunktthemen. Zum einen dokumentieren sie religiöse Texte: die heiligen Gedichte der Ahl-e Haqq, die sogenannten Kal?m, die strenge Muster in Rhythmik und Metrum aufweisen. Zweites Arbeitsfeld: Oral History. Hier interessieren sich die Forscher für einen Geschichtenstrang besonders: die Berichte über den Gasangriff Saddam Hussains im Jahr 1988 auf das Goran-Dorf Zarde. Des Weiteren wollen die Forscher Legenden und Märchen dokumentieren sowie Musik und Lieder. Als Letztes gilt das Interesse der Beschreibung der Alltagssprache, vor allem jeglichen Themen rund um Landarbeit und Handwerk. Beteiligt an diesem Vorhaben in politisch hoch sensiblem Umfeld sind auch ein iranischer Linguist der Universität Teheran und ein griechischer Ethnomusikologe.

Kontakte zu Projekt 1:

Universität Hamburg
Fakultät für Geisteswissenschaften
Asien-Afrika-Institut
Prof. Dr. Ludwig Paul
Telefon: 040 42838 3054
E-Mail: ludwig.paul@uni-hamburg.de

Universität Kiel
Seminar für Allgemeine und Vergleichende
Sprachwissenschaft
Priv.-Doz. Dr. Geoffrey Haig
Telefon: 0431 880 3314
E-Mail: haig@linguistik.uni-kiel.de

Universität Göttingen
Philosophische Fakultät
Seminar für Iranistik
Prof. Dr. Philip Kreijenbroek
Telefon: 0551 39 4394
E-Mail: gkreyen@gwdg.de


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Zu 2.
Mit 295.000 Euro fördert die Stiftung ein weiteres Dokumentationsvorhaben im Südpazifik. Das deutsch-australische Forscherteam beschäftigt sich mit dem Savosavo, einer Papua-Sprache. Sie wird auf Savo, einer der Solomoninseln, gesprochen. Die Solomoninseln als Teil der Melanesischen Inselwelt sind ein sprachwissenschaftlicher "Hotspot": Sie verbinden Papua-Neuguinea mit seinen Papua-Sprachen und Polynesien mit den austronesischen Sprachen. Interessant ist, dass das Savosavo keine nahverwandte Sprache in der Region hat. Bedroht wird es vom Solomon Islands Pijin als Hauptsprache der Region und dem Englischen; gesprochen wird es praktisch nur noch in Familien, in denen beide Elternteile Savosavo-Sprecher sind. Bedrohlich ist auch die Tatsache, dass die mit einem Durchmesser von sechs Kilometern recht kleine Insel ein schlafender Vulkan ist. Sollte es zu einem Ausbruch kommen, würden alle Sprecher auf die Nachbarinseln verteilt. Da dort andere Sprachen vorherrschen, käme das Ende des Savosavo innerhalb von nur einer Generation unausweichlich.

Der Vulkan, das Leben auf ihm und das Wissen der Einheimischen über ihn - das ist zugleich der erste von vier thematischen Schwerpunkten des Vorhabens: Aktiv einbezogen in diesen Teil der Dokumentation sind ein Savo-Bewohner und ein neuseeländischer Vulkanologe. Des Weiteren interessieren sich die Forscher für lokale Geschichte und Biographien von Zeitzeugen, beispielsweise zu den Ereignissen während des Zweiten Weltkriegs und über die Zeit des Britischen Protektorats. Drittens sollen traditionelles Wissen und Gebräuche dokumentiert werden - etwa verschiedene Techniken des Fischens, des Haus- und Kanubaus oder Webens. Viertens setzen sich die Wissenschaftler mit dem Themenfeld des "hortativen Diskurses" auseinander: Wie beispielsweise sollen die Angelegenheiten der Menschen auf der Insel nach Ansicht der Savosavo organisiert werden?

Ziel des in Manchester angesiedelten Forscherinnenteams ist es, einen umfangreichen Korpus digitalisierter Video- und Audioaufnahmen zu erstellen, der verschiedene Sprechsituationen, Sprecher und Genres zusammenführt. Dieser Korpus wird gestützt von einer lexikalischen Datenbank, die vor allem die Bereiche Ethnobotanik, -zoologie und -ökologie umfasst als auch Ortsnamen entsprechend aufbereitet enthält. Hinzu kommen ein Grammatiküberblick, ein ethnographischer Abriss und eine Datenbank der Ortsnamen. Beteiligt an dem Vorhaben ist neben dem neuseeländischen Vulkanologen auch ein australischer Anthropologe.

Kontakte zu Projekt 2:

Universität Manchester
School of Languages, Linguistics and Cultures
Prof. Dr. Eva Friederike Schultze-Berndt
E-Mail: eva.schultzeberndt@uni-graz.at

Claudia Wegener
Telefon: +43 316380 2423
E-Mail: claudia.wegener@uni-graz.de

Universität Kiel
Seminar für Allgemeine und Vergleichende
Sprachwissenschaft
Prof. Dr. Ulrike Mosel
Telefon: 0431 880 2414
E-Mail: umosel@linguistik.uni-kiel.de


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Zu 3.
Professor Dr. Ulrike Mosel von der Universität Kiel ist noch an einem weiteren Vorhaben beteiligt, das über die reine Sprachendokumentation hinausreicht. Aufbruch zu neuen Ufern, lautet das Motto. Denn in diesem Vorhaben geht es um die Entwicklung neuer Wissensspeicher, genauer: um die multimediale Verknüpfung von Lexikon und Enzyklopädie. Wissen wird hier nicht länger - wie etwa in Büchern - linear verwaltet, sondern zirkular. Informationen über Sprache, Bilder, kulturelle Gegebenheiten und anderes mehr: Dies alles wird verknüpft und kann sich wechselseitig aufeinander beziehen. Die Umsetzung des geplanten Multimedia-Enzyklopädie-Lexikons (MEL) erfolgt auf der Grundlage der von der Wissenschaftlerin bereits dokumentierten bedrohten Sprachen Marquesan und Tuamotuan in Französisch Polynesien. Das MEL zeichnet sich durch folgende Schlüsselkonzepte aus:

o Ein bestimmtes Wort wird nicht wie im klassischen Lexikon isoliert und mit einem einzelnen Inhalt verbunden, sondern ist Schlüssel für ein vielschichtiges Netzwerk semantischer Relationen, die Informationen über linguistische Eigenschaften über das Wort mit enzyklopädischen Informationen über die kulturelle Bedeutung und die Nutzung des Konzepts verknüpfen.

o Die Möglichkeit des "relationalen Linking" wird eröffnet, in dem das klassische Eins-zu-Eins Hyperlinking um eine neue Form von Vielebenen-Verknüpfung ergänzt wird.

o Ein sprachvergleichendes Lexikon wird aufgebaut, in dem zwischen dem Marquesanischen und dem Tuamotuanischen "Brücken-Kategorien" verwendet werden wie etwa englische oder französische Übersetzung, lateinische Begriffe der Zoologie oder Botanik etc.

o Das MEL erlaubt gleichzeitig und von veschiedenen Orten aus mehreren Personen, darunter auch einheimischen Assistenten, das Lexikon zu füllen.

o Einträge im Lexikon sollen mit Archivinhalten verknüpft werden können.

Entscheidend beteiligt an dem Vorhaben sind die Techniker um Peter Wittenburg vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen.

Kontakte zu Projekt 3:

Universität Kiel
Seminar für Allgemeine und Vergleichende
Sprachwissenschaft
Prof. Dr. Ulrike Mosel
Telefon: 0431 880 2414
E-Mail: umosel@lingustik.uni-kiel.de

Dr. Gabriele H. Cablitz
Telefon: 0431 880 2413
E-Mail: gabycablitz@hotmail.com

Max-Planck-Institut für Psycholinguistik
Nijmegen
Peter Wittenburg
Telefon: +31 24 3521113
E-Mail: Peter.Wittenburg@mpi.nl


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Des Weiteren wurden in der Förderinitiative "Dokumentation bedrohter Sprachen" folgende drei Bewilligungen ausgesprochen:

4.) 277.900 Euro für das Vorhaben "A Pan-dialectal Documentation of Taa. (Folgeprojekt des Vorhabens 'Documentation of Western !Xoo')" von Privatdozent Dr. Tom Güldemann aus der Abteilung für Linguistik am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und von Professor Dr. Roland Kießling, Abteilung für Afrikanistik und Äthiopistik der Universität Hamburg;

Kontakte für Projekt 4:

Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Leipzig
Privatdozent Dr. Tom Güldemann
Telefon: 0341 3550-334
E-Mail: gueldemann@rz.uni-leipzig.de

Universität Hamburg
Asien-Afrika Institut
Prof. Dr. Roland Kießling
Telefon: 040 42838 2695
E.Mail: roland.kiessling@uni-hamburg.de


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5.) 285.100 Euro für die Fortsetzung des Projekts "Documentation of =Akhoe-Hai//om, a Khoisan language spoken by hunter-gatherers in central-northern Namibia. A multi-media compilation of language and culture in endangered social practices" von Professor Dr. Stephen C. Levinson, Gertie Hoymann, Dr. Christian Rapold und Privatdozent Dr. Thomas Widlok, alle vom Bereich Language and Cognition am Max-Planck- Institut für Psycholinguistik in Nijmegen;

Kontakt zu Projekt 5:
Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen
Language and Cognition
Prof. Dr. Stephen C. Levinson
Telefon: 0031 24 3521277
E-Mail: stephen.levinson@mpi.nl


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6.) 98.000 Euro für die Fortsetzung des Projekts "Beaver knowledge systems: documentation of a Canadian First Nation language from a placenames' perspective" von Dr. Dagmar Jung vom Institut für Linguistik der Universität Köln.

Kontakt zu Projekt 6:
Universität Köln
Allgemeine Sprachwissenschaft
Institut für Linguistik
Dr. Dagmar Jung
Telefon: 0221 4706327
E-Mail: djung@uni-koeln.de

Kontakte
VolkswagenStiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 0511 8381 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

Förderinitiative Dokumentation bedrohter Sprachen
Dr. Vera Szöllösi-Brenig
Telefon: 05 11 8381 218
E-Mail: szoelloesi@volkswagenstiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution458


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
VolkswagenStiftung, Dr. Christian Jung, 30.03.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2007