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MEDIEN/141: Nachtschicht statt Liebesnacht - der neue 007 (ROSA)


ROSA:34 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - März 2007

Nachtschicht statt Liebesnacht - der neue 007

Von Olivia Zeier


Casino Royale markiert einen Paradigmenwechsel innerhalb der Bondserie. Der Protagonist arbeitet lieber hart, als dass er Frauen verführt. Er ist ein guter Kumpel und kein unverbesserlicher Sexist.

Der neueste Bondfilm führt zurück in die Anfangszeit der Agentenserie, als sich James Bond seine Auszeichnung 007 erst noch abverdienen musste. Der Film ist Ian Flemings erstem Agententhriller nachempfunden, einem Buch, das 1953 entgegen allen Erwartungen grossen Erfolg feierte. Dennoch kam es bis 2006 nicht zu einer Verfilmung, zumindest nicht durch das berühmte Bond-Team Saltzman und Broccoli.(1) Die Filmserie startete mit James Bond - 007 jagt Dr. No und während weiterer Folgen etablierte sich Sean Connery als Ur-Bond-Besetzung, der in seiner Männlichkeit nie so stark angezweifelt wurde wie seine Nachfolger. Harry Saltzman, einem der langjährigen Produzenten der Serie zufolge, entsprach Sean Connery genau dem gesuchten Ideal: "Wir unterhielten uns und merkten sofort, dass er die erforderliche Männlichkeit hatte, die die Rolle verlangte. Wenn er irgendetwas besonders betonen wollte, klopfte er mit der Faust instinktiv auf seine Knie und auf den Tisch. [... ] Als er unser Büro verließ, sahen wir durch das Bürofenster seine Gangart. Das ist es - sagten wir. Der Vertrag wurde unterschrieben."(2)

Um diese in Szene gesetzte Männlichkeit herum ist die Serie und ihr Kult-Potenzial denn auch gebaut. Gearbeitet wird mit Variationen des immer Gleichen. Es gibt antagonistische Agenten und Agentinnen, wobei Bond stets siegt. Auch in Casino Royale kämpft er gegen einen Staatsfeind, ein terroristisches Netz, das er unschädlich macht. Der Seriencharakter moduliert einen Helden, dessen vorprogrammierter Sieg auch episodische Züge annimmt. So ist sein märchenhafter Erfolg bei den Frauen, die ihm reihenweise zu Füssen liegen, ein Running Gag geworden.


Aber wie kommt der Zauber zustande?

Bonds Snobismus, von seinem Schöpfer stets bestritten, wurde legendär. Fleming begründete zumindest den luxuriösen Lebensstil damit, dass in der Gesellschaft der Fünfzigerjahre "gutes Essen noch rar"(3) war. Mit anderen Worten: Der Habitus des geniesserischen Agenten bediente die Sehnsucht des kleinen Mannes, aus dem täglichen Einerlei der Abhängigkeiten in eine Glamour-Welt zu entfliehen. In den älteren Bondfilmen kommt vor allem diese Seite zum Ausdruck. Aber eigentlich sollte der Ur-Bond ein "sehr einfaches, vorwärts gerichtetes, grobes Instrument der Polizei" sein, "das knurrend seinen Job verrichtet", wie Sean Connery aus Gesprächen mit Ian Fleming zu berichten weiss.(4) Die ambivalente Haltung von totaler Selbstaufgabe für den Staat und narzisstischem Ego, das damit in Konflikt gerät, blieb stärker im Hintergrund. Ein Hauch davon jedoch wurde in der latenten Auflehnung gegenüber seinen jeweiligen Vorgesetzten bewahrt.

In Casino Royale von 1967, einer Parodie auf den Bondfilm, wird James Bonds rätselhafter Charakter als eine paradoxe Kombination von Begehren und Ablehnung definiert und der Agent 007 als Kunstprodukt eines kranken Hirns verulkt. Seine wahre Natur sei die Verführung jeder Frau, aber in der Agentenakademie sei er dazu ausgebildet worden, dies nicht mehr zu wollen und müsse darum nach jedem Training einen Psychiater aufsuchen. Solche inneren Spannungen einer zwiespältigen Figur werden im neuesten Film auch ausgereizt.


Zersplitterte Männlichkeit

Die Produktion von 2006 wollte die in die Jahre gekommene Serie auffrischen, weniger Spezialeffekte, dafür mehr Körpernahkampf einarbeiten, sie realistischer und härter gestalten und eine jüngere Besetzung wählen.(5) Nicht zu übersehen ist, dass Daniel Craig alias James Bond wieder den einfachen Polizisten verkörpert, dass er härter und archaischer wirkt. An Körperkraft macht der neue Bond wett, was seine Vorgänger an strategischer und intriganter Intelligenz an den Tag legten. Er verliert an Snobismus, englischem Charme und Humor, generell an Leichtigkeit und Distanz. Dafür tritt er den Zuschauenden näher. Er vermittelt Verletzlichkeit und Kompliziertheit, einen intimen Raum, in welchem mehr fleischliches Substrat offenbart wird anstelle eleganter Verkleidung und Pomp. Der körperliche Schmerz wird geradezu zelebriert, zum Beispiel wenn Bond an seinen Genitalien gefoltert wird. Die Kastrationsangst, welche diese Folterszene heraufbeschwört, zielt direkt auf die Zerbrechlichkeit der Männlichkeit. Auch in Liebesdingen hapert es. Mit der wunderschönen Solange kommt es nicht zu einer heißen Liebesnacht. Einem Burnout nahe, so scheint es, geben sie sich nur noch vagen Worten der Lust hin. Wenn Bond daraufhin Champagner und Kaviar für nur eine Person (also für Solange) aufs Zimmer bestellt, markiert er den arbeitsamen pflichtbewussten Polizisten und wirkt so, als wäre er eigentlich froh darüber, Solange nicht verführen zu müssen. Gemacht ist er, wie man später sieht, eher für die große Liebe. Diese wird denn auch dadurch möglich, als James Bond nicht den patriarchalischen Besserwisser mimt, sondern einen sympathischen Arbeitskumpel, der einer Frau denselben Status zuweist wie sich selbst.

Aber: Der neue Bond ist auch eine Figur der Differenz, weil im Hinblick auf den kursierenden Männlichkeits-Mythos des Agenten aufscheint, was er an Überlegenheit nicht (mehr) bietet. Stehen die im Vorspann in kleine Teilchen und geometrische Formen zerspringenden Körper sinnbildlich für den zersplitterten Männlichkeitsstatus eines James Bond?

Auch an seinem sozialen Status sind schliesslich 'Mangelerscheinungen' ablesbar. Seine Sozialisation als Waisenkind gilt in Casino Royale als Grund für seine Gewaltbereitschaft, wenn er und seine Buchhalterin sich darüber streiten, wer in der Jugend vernachlässigt wurde, und wer von ihnen nun einen Tick oder ein zu grosses Ego für eine Zusammenarbeit mitbringe. Wie man sieht, ist James Bond nicht mehr souveräner Snob sondern ein Mann aus dem Volk, gar ein Losertyp, der es trotz oder gerade wegen seiner Vernachlässigung mit Fleiss und Härte dazu gebracht hat, im Secret Service ein passendes Rädchen im ach so schönen Machtgetriebe zu werden.


Die Lizenz zum Töten: Grüsse von der Nachtseite der Menschlichkeit

Die Bond-Formel wird dadurch gestört, dass Bond sich in Casino Royale ernsthaft in seine Buchhalterin Vesper Lynd verliebt. Dies allein wäre noch keine Neuerung, heiratet Bond doch in anderen Folgen auch und verliebt sich oftmals ein wenig.(6) Hier aber will er für die Liebe sogar seinen Agentenjob an den Nagel hängen. Diese Wendung ermöglicht eine Spirale hin zu etwas sehr Schönem, das nur mittels etwas sehr Hässlichem, nämlich durch Verrat, in etwas Neues transferiert werden kann: Durch seine Gefühle wird Bond zum manipulierbaren Arbeitswerkzeug. Die enttäuschte Liebe ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, eine Wiederholung dessen, was er schon kennt. Doch dadurch profiliert er sich erst recht - beinahe märtyrerhaft - für den Agentenjob. Am Schluss wird ein von der Liebe enttäuschter Mann als Idealbesetzung für künftige Agentennummern gehandelt, einer, der nichts mehr zu verlieren hat und der fatalistisch, wie ein Terrorist, zerstört, während er sich selbst längst aufgegeben hat.

Dass Böses mit Bösem bestraft werden müsse, um die Welt zu retten, ist schließlich eine zynische, pervertierte Idee von der Rettung der Welt. Bond mutiert zum eiskalten Killer, der von der Liebe zum letzten Mal enttäuscht, den Rest seines ohnehin geringen Vertrauens verliert. "[...] and the bitch is dead" sagt Bond zu seiner Chefin am anderen Ende der Telefonverbindung. Nur sie und die Zuschauenden wissen um seine Tragik, nämlich, dass nur ein solcher Agent seinen Job wirklich gut verrichten kann: um den Preis seiner Menschlichkeit.<</p>

Olivia Zeier studierte Germanistik und Ethnologie. Dieser Artikel ist in der Freizeit entstanden, im Anschluss an die Lizenziatsarbeit über Jugendliche Filmweiten in der Soziolinguistik.
olivia.zeier@bluewiri.ch


Anmerkungen:

(1) Dafür entstanden Casino Royale (USA 1954) von William H. Brown und Casino Royale (GB 1967) von John Huston, mit Ursula Andress und Woody Allen.

(2) Siegfried Tesche. James Bond - top secrets, Leipzig 2006, S. 415.

(3) Ebd., S. 26.

(4) Ebd., S. 25.

(5) Ebd., S. 306 und S. 309.

(6) Aufgrund wiederholter Versuche, ihn menschlicher erscheinen zu lassen. Weiteres in: Erich Kocian. Die James Bond Filme, München 1994, S. 19.


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Quelle:
ROSA:34 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe März 2007, S. 24-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2008