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MEDIEN/137: Jenseits der Technik - Film als Kunstform (impulse - Uni Bremen)


Universität Bremen - impulse aus der Forschung Nr. 2/2006

Jenseits der Technik
Bremer Medienwissenschaftler wollen den Film als Kunstform in die Schulen bringen

Von Bettina Henzler und Winfried Pauleit


Film in die Schule und mit der Schule ins Kino! Das sind die Ziele aktueller Initiativen in ganz Europa: beispielsweise der Film-Education in England, der französischen Kunstprojektklassen Classes-à-PAC oder der Schulkinowochen, die auch die Bremer Schüler alljährlich begeistern.


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Das Besondere an diesen Projekten ist, dass sie von der Filmbranche selbst ausgehen oder diese zumindest einbeziehen. Neben Pädagogen und Medienwissenschaftlern beteiligen sich Regisseure, Produzenten, Filmverleiher und Kinobetreiber an einer Begegnung von Kino und Schule.

Das ist neu für die Kinoseite und eine Herausforderung für die Schule. So kommen nicht nur die Filmschaffenden als pädagogische Laien in die Klassen und bereichern die Filmstunde mit ihrem beruflichen Wissen. Die Schüler verlassen auch den vertrauten Ort staatlich geregelten Lernens, um eine Stätte kultur-industriellen Vergnügens aufzusuchen: Kino statt Schule. Dort begegnen sie einer Mischung aus Phantasie und Technik, die den ganz eigenen kulturellen Erfahrungsraum des Films auszeichnet.

Mit gezielten Aktivitäten in der Lehrerausbildung und Forschung treibt das Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik die Entwicklung der Filmpädagogik auf universitärer Ebene voran. Es positioniert sich dabei an den für die Filmvermittlung relevanten Schnittstellen von Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Bildung. So wurde jüngst gemeinsam mit dem Kommunalkino (Kino 46) und Vertretern des Landesinstituts für Schule die "Bremer Akademie für Film und Medien" (BAFF) ins Leben gerufen. Sie soll die Zusammenarbeit der Forscher mit wissenschaftsfremden Einrichtungen und Unternehmen erleichtern und den Praxisbezug in der universitären Arbeit herstellen. Unter diesem Dach werden neben dem Internationalen Filmsymposium (2) künftig unter anderem die Bremer Schulfilmwochen ausgerichtet, die bereits 2004 zum ersten Mal in Zusammenarbeit mit dem Kino 46 veranstaltet wurden.

Ein anderer Blick auf die Welt

In Deutschland dominiert derzeit eine Medienpädagogik, die den Schülern den Umgang mit neuen Medien (Computer und Internet) vor allem in Hinblick auf technische und kognitive Kompetenzen vermitteln will. Die Bremer Medienpädagogik konzentriert sich hingegen auf das Filmerlebnis als ästhetische Erfahrung: Film soll als Kunstform vermittelt werden. Und dafür bedarf es neben einer allgemeinen Medienpädagogik, auch filmspezifischer Vermittlungsmethoden. Hier lohnt der Blick nach Frankreich, wo die Filmpädagogik als Kunstvermittlung eine starke Tradition hat.

Eine der jüngsten Initiativen des Instituts für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik ist daher die Publikation von Alain Bergalas "Kino als Kunst. Filmvermittlung in der Schule und anderswo" in deutscher Übersetzung. (1) Bergala, der derzeit herausragende Denker der Filmpädagogik in Frankreich, verfasst das Buch 2002 als Ergebnis seiner Arbeit als Kinoberater für ein staatliches Programm zur kulturellen Bildung in französischen Schulen. Gemäß der Philosophie dieses Bildungsprogramms geht Bergala in seinem Text davon aus, dass die Begegnung mit Filmen als Kunstwerken für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes wesentlich ist und daher zum Bildungsauftrag der Schule gehört.

Das Kinoerlebnis und die Beschäftigung mit Filmen - das hat auch die Schulfilmarbeit des Bremer Instituts gezeigt - motivieren Kinder und Jugendliche in besonderer Weise. Der ungewöhnliche Lernort und das neue Medium regen Schülerinnen und Schüler unmittelbar zum Lernen und zur Auseinandersetzung mit sich und der Welt an. Die Arbeit mit Film(-Kunst) ist nicht auf Text oder Logik zentriert, sondern auf das Bild und die ästhetische Erfahrung. Daher spricht sie insbesondere sogenannte "Problemschüler" an, die darin eine alternative Ausdrucksform finden können. Zudem hat sich auch in der Lehrerausbildung "Filmsprache" als Mittel der Reflexion bewährt: Lehramtskandidaten im Fach Kunst können ihre Abschlussberichte über das Schulpraktikum in Form eines Films verfassen, der als DVD produziert wird.


Vielfalt in der Medienforschung

Über die praxisbezogene Arbeit hinaus gibt es am Bremer Institut gegenwärtig drei Forschungsprojekte, die sich theoretisch mit Aspekten der Filmvermittlung und Medienästhetik auseinandersetzten. Bettina Henzler erforscht die Konzepte der französischen Éducation à l'image (wörtl. Bildung zum Film = Filmvermittlung) in Hinblick auf eine Weiterentwicklung der deutschen Film- und Medienpädagogik. Neben "Kino als Kunst" stehen weitere Schriften von Alain Bergala im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Wenke Wegner untersucht die zeitgenössische deutsche Regiegeneration, die unter der Bezeichnung "Berliner Schule" bekannt wurde. Und Sebastian Schädler zeigt, dass der Vater der Pädagogik Jean-Jacques Rousseau, der den Umgang von Kindern mit Medien (einschließlich des Buches) strikt ablehnte, seine Pädagogik im Grunde in einer virtuellen Welt, wie ein Computerspiel angelegt hat.

Winfried Pauleit widmet sich in Lehre und Forschung der Medienästhetik und der Filmvermittlung. Seine aktuelle Vorlesung "Mediengeschichte im Kino" findet alternierend in der Universität und im Kino 46 statt. Das Verhältnis von Kino und Schule war lange Zeit von einer Pädagogik geprägt, die Kinder und Jugendliche vor dem schädlichen Einfluss des Films bewahren wollte. Die ästhetische Erfahrung spielte dabei bisher nur eine untergeordnete Rolle. Für die Medienästhetik hingegen ist der Film zentral, denn er war lange vor dem Computer ein Hypermedium, welches alle anderen Künste und Medien integrieren und reflektieren konnte. Dieses Wissen gilt es für die Medienpädagogik bzw. die pädagogische Arbeit in der Schule fruchtbar zu machen. Denn Film ist ein Medium, das die Wahrnehmungsweise der gegenwärtigen Gesellschaft maßgeblich prägt, und daher aus dem Schulunterricht nicht länger ausgeschlossen werden darf.

Die Ergebnisse der Bremer Medienwissenschaftler und -pädagogen erscheinen in der Reihe "Bremer Schriften zur Filmvermittlung" im Schüren Verlag. Die Publikationen des "Internationalen Bremer Symposium zum Film" erscheinen im Bertz Verlag. Mit Film- und Medienästhetik im digitalen Zeitalter befasst sich außerdem die Internetplattform "Nach dem Film".


Anmerkungen:
(1) Alain Bergala: Kino als Kunst. Filmvermittlung an der Schule und anderswo.
     Deutsche Übersetzung herausgegeben und kommentiert
     von Bettina Henzler und Winfried Pauleit.
(2) 12. Internationales Bremer Symposium zum Film: Wort und Fleisch.
     Kino im Spannungsfeld von Text und Körper, 8.-21. Januar 2007

Weitere Informationen:
www.nachdemfilm.de
www.kunst.uni-bremen.de


Bettina Henzler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen. Nach ihrem Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften, Germanistik und Anglistik in Bonn und Brüssel promovierte sie über französische Filmpädagogik im Kontext europäischer Filmvermittlung. Seit 2002 arbeitet sie freiberuflich im Bereich Film und Pädagogik. U.a. leitet sie das französische Jugendfilmfestival Cinéfête der Französischen Botschaft und der AG Kino Gilde e.V.

Winfried Pauleit ist Professor für Medientheorie im Institut für Kunstwissenschaft und Kunstpädagogik der Universität Bremen. Er studierte Kunstwissenschaft, Filmwissenschaft und Literaturwissenschaft in Berlin, London und Chicago, bevor er an der Universität Wuppertal und am Central Saint Martins College of Art and Design in London arbeitete. Pauleit ist Mitglied des Graduierten-Kollegs Ästhetische Bildung an der Universität Hamburg.


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Quelle:
Universität Bremen - impulse aus der Forschung
Nr. 2/2006 (Dezember 2006), Seite 30-33
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
Redaktion: Eberhard Scholz (verantwortlich)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2007