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FRAGEN/003: Weihnachtsmärkte - Nostalgische Gefühle im Budenlicht (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 18.12.2012

Nostalgische Gefühle im Budenlicht

"Alle Jahre wieder" kommt nicht nur das Christkind - auch die Weihnachtsmärkte haben sich einen festen Platz im Brauchgeschehen rund um das Weihnachtsfest erobert. Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Europäische Ethnologie / Volkskunde haben sie genauer unters Licht genommen.



Sie untersuchen Alltag, Kultur und Lebensweise breiter Bevölkerungskreise in Europa vom Mittelalter bis in die Gegenwart: Die Wissenschaftler am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Universität Würzburg. Klar, dass das Thema "Weihnachten" und alle damit verbundenen Bräuche für sie von Bedeutung sind. Wir haben Jörg Fuchs, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl, über Weihnachtsmärkte befragt.


Herr Fuchs, seit wann gibt es eigentlich Weihnachtsmärkte?

Überliefert sind Märkte, die zu religiösen Festen und Feiern stattfanden, seit dem 13. Jahrhundert. Was man zu dieser Zeit dort kaufen konnte, ist allerdings heute nicht mehr im Einzelnen belegbar. Es hat sich dabei nicht um Waren mit Geschenkcharakter heutiger Ausprägung gehandelt, sondern wahrscheinlich um alltägliche Gebrauchsgüter sowie möglicherweise religiöse Gegenstände, beispielsweise Heiligenbilder und Devotionalien. Auch Weihnachten als christliches Hochfest bot sich als Markttermin an. Jahrmärkte zur Weihnachtszeit, die wir am ehesten mit unseren heutigen Weihnachtsmärkten in Verbindung bringen können, lassen sich seit dem 16. Jahrhundert nachweisen.

Ging es denn dabei mehr um die Religion oder stand das Kaufen und Verkaufen im Vordergrund?

Die Entstehung unserer heutigen Weihnachtsmärkte wurzelt in den profanen Märkten des Mittelalters, die sehr oft im Umfeld kirchlicher Feste und Feiern stattfanden. Ein Überbleibsel dieses Zusammenhangs findet sich im Namen "Messe", den wir heute sowohl für einen Gottesdienst als auch für eine Verkaufsveranstaltung benutzen. Dass Religion und Wirtschaftswesen sich nicht per se ausschlossen, zeigt sich nicht nur am einst blühenden mittelalterlichen Reliquienhandel. Auch Verkaufsstände finden wir bis in die heutige Zeit in nächster Nähe zu Kirchen - so beispielsweise die Ladengeschäfte an der Würzburger Marienkirche oder am Kölner Dom.

Und da wurde das Gleiche verkauft wie heute: Socken, Gewürze und Süßigkeiten?

Im Prinzip ja. Einzelne Bezüge zu aktuellen Formen des Weihnachtsmarkts finden sich ab dem 14. Jahrhundert in Nürnberg mit der Erwähnung eines "Lebküchners". Lebküchner, auch Lebzelter genannt, traten ab Mitte des 17. Jahrhunderts in Nürnberg als eigene Handwerkszunft auf. Ihre Spezialität waren Honiggebäcke, die vergleichbar mit unseren heutigen, auf Weihnachtsmärkten beliebten, Lebkuchen sind. Sie handelten neben diesen Süßwaren auch mit anderen Produkten, die mit der Honigproduktion in Verbindung standen, beispielsweise Kerzen.

Also hat sich nichts verändert seit dem Mittelalter?

Naja, heute kommen zahlreiche alte - oder für alt gehaltene - Formenkategorien rund um das Weihnachtsfest zum Einsatz; so zum Beispiel der Weihnachtsmann, eine Figur die 1848 als "Herr Winter" erfunden wurde. Diese Figur gehört in ihrer späteren Aufmachung mit rotem Mantel und weißem Bart im Brauchkomplex um Weihnachten zu einer der jüngsten im aktuellen Weihnachtsgeschehen. Als ältere Vertreter des weihnachtlichen Festkanons zählen auf den Weihnachtsmärkten heute die Krippendarstellungen. Die Weihnachtskrippe, wie wir sie kennen, wurde im 17. Jahrhundert in Neapel populär und zeigt dort über das Weihnachtsgeschehen hinaus auch ganz alltägliche Szenen.

Und warum sind Weihnachtsmärkten heutzutage so beliebt?

Zum einen sind sie, im Gegensatz zu Wochenmärkten, zeitlich begrenzt und stellen somit eine jahreszeitliche Besonderheit dar. Darüber hinaus wird auf Weihnachtsmärkten - von neueren Ausnahmen abgesehen - in der Regel ein "nostalgisches" Weihnachtserlebnis inszeniert. Die Vorstellung einer "guten alten Zeit", mit der auch das Weihnachtsfest häufig verknüpft ist, und die heute gern auf zahlreichen Weihnachtsmärkten präsentiert wird, findet sich nicht nur hierzulande. Auch im Ausland gelten "deutsche Weihnachtsmärkte" als besonders authentisch. In vielen Gegenden Asiens oder Afrikas stellen sie exotische Ereignisse dar.

Man geht auf den Weihnachtsmarkt, weil dort so gemütvoll ist?

Genau. Licht, Wärme, heiße Getränke und Geselligkeit tragen zu einem Gefühl der Behaglichkeit eines Weihnachtsmarkts bei - und helfen, die kalte dunkle und ungemütliche Jahreszeit erträglich zu gestalten. Eine weitere Faszination beschreibt der Volkskundler Berthold Weizmann so: Der Weihnachtsmarkt sei ein Ereignis, welches man bereits am einzigartigen Geruch erkennen könne.

Sind eigentlich alle Weihnachtsmärkte im Prinzip gleich?

Nein, sie sind stets durch Moden der Zeit und der Region geprägt. Heutzutage werden sie beispielsweises zunehmend zielgruppenspezifischer inszeniert. So findet dieses Jahr in Köln erstmals ein schwul-lesbischer Weihnachtsmarkt mit Showprogramm und Kleinkunst statt. Andernorts zählen alternative Weihnachtsmärkte mittlerweile schon länger zum festlichen Kanon - wie der "Holy-Shit"-Shopping-Weihnachtsmarkt in Berlin, dessen Angebote über rein weihnachtliches Geschenkgut weit hinausgeht und Designware, Trödel und exotische Lebensmittel umfasst. Er bietet einer zunehmend säkularen und fragmentierten Gesellschaft Anschlussmöglichkeiten an verinnerlichte Formen der Brauchausübung.

Wieso beschäftigen sich eigentlich Volkskundler mit Weihnachtsmärkten?

Märkte waren und sind - neben dem Handel - auch immer soziale Ereignisse. Als Volkskundler interessiert mich der Wandel beziehungsweise die Inszenierung von Weihnachtsmärkten sowie der soziale und kulturelle Charakter, den sie besitzen. Dazu zählt auch die Frage nach den Interessen und Motivationen der Marktbesucher.

Und wie sieht die aus, diese Motivation?

Nachdem Gebrauchswaren heutzutage danke Internet, Versandhandel und längeren Ladenöffnungszeiten im Prinzip rund um die Uhr verfügbar sind, dient der Markt zur Weihnachtszeit weniger der Versorgung mit alltäglichen Gütern. Stattdessen findet man dort an zahlreichen Ständen Geschenkartikel und Außergewöhnliches. Eine "Eventisierung" durch Musik, Kunst und kulinarische Angeboten geht dabei mit dem Verkaufsangebot Hand in Hand und schafft ebenso Besuchsanreize wie die Zielgruppendifferenzierung einzelner Märkte.

Also weniger Markt und mehr Party-Meile?

Diese Wandlungen in Weihnachtsmarkt-Inszenierungen müssen niemanden betrüben, denn eine "ursprüngliche" oder gar "reine" Form des Weihnachtsmarkts existiert nicht. Er ist und war stets Ausdruck zeitlicher, regionaler und gesellschaftlicher Entwicklungen. Ein Weihnachtsmarkt kann uns - trotz mancher Vereinheitlichung im Sortiment und in der Ausgestaltung - stets so Manches über lokale Besonderheiten erzählen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Robert Emmerich, 18.12.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2012