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BERICHT/029: Afrikaforschung - Mittler zwischen Kulturen (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum 1/07 - Universität Bayreuth

Mittler zwischen den Kulturen
Die Afrikaforschung an der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät mit Tradition und Zukunft

Von Eva Rothmaler, Dymitr Ibriszimow, Hilary Dannenberg, Ute Fendler und Rainer Oßwald


Europa und Afrika so nah und doch so fern - zwei Nachbarkontinente verbunden durch den Mittelmeerraum, getrennt in den Köpfen der Menschen, missverstanden durch jahrhundertelange Berührungsängste.

Dem Abbau dieser Vorbehalte haben sich die afrikabezogenen Disziplinen der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät verschrieben. Mit ihrer Forschung und Lehre sorgen sie dafür, dass gegenseitiges Verständnis und erfolgreiche Kommunikation zwischen Europäern und Afrikanern zustande kommen, diese sich mit den Erfordernissen der modernen Welt weiterentwickeln und schließlich zu gegenseitigem Vertrauen führen.


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Während man sich früher fragte, ob man Afrika verstehen muss, hat sich in der heutigen globalisierten Welt die Fragestellung verwandelt in 'Wie kann ich Afrika verstehen?'. Obwohl diese Formulierung weiterhin die Tücke hat, Afrika als eine Einheit zu sehen, hat die Bereitschaft zugenommen, sich mit dem südlichen Nachbarn Europas genauer auseinanderzusetzen und sich ihm anzunähern. Der direkte Weg zu diesem Ziel ist die unmittelbare Kommunikation miteinander, die nur durch profunde Kenntnisse der Sprachen und der literarischen, religiösen und kulturellen Wahrnehmungen, die mit dem Mittel der Sprache geäußert werden, zu bewältigen ist.

Dafür braucht man Spezialisten, die Zugang zu der unglaublichen Vielfältigkeit des Schwarzen Kontinents haben. An der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät sind es die Afrikanisten, Anglisten, Romanisten und Islamwissenschaftler, die in ihren jeweiligen Fächern und in gemeinsamen transdisziplinären Forschungsaktivitäten die Voraussetzungen zur Annäherung der europäischen und afrikanischen Lebenswelten schaffen.

Die Afrikanistik definiert sich als Wissenschaft von afrikanischen Sprachen in allen Erscheinungsformen und ihren gesellschaftlichen, kulturellen und historischen Bedingungen und Gebrauchsweisen. Zum Wissen von der Sprache gesellt sich auch das Wissen über die in der Sprache kodierten historischen, sozialen und kulturellen Normen sowie über die Sprecher in ihren jeweiligen Umgebungen. Hampâté Ba (1900-1991), Schriftsteller aus Mali, der von 1962 bis 1970 bei der UNESCO tätig war, sagte: "Wenn in Afrika ein alter Mann stirbt, dann verbrennt eine ganze Bibliothek". Das in Sprache verschlüsselte Wissen zu verstehen und einzuordnen, um somit einen unerlässlichen Beitrag auch zur Erforschung universaler sprachlicher Charakteristika - dem Genpool in der Biologie vergleichbar - zu leisten, ist eine der vielfältigen Aufgaben der Afrikanistik.

Sie erforscht und bewahrt ein sprachliches und kulturelles Archiv. Erst durch Rückgriff auf hier gespeichertes Wissen kann das Eigene in einem weiteren Kontext reflektiert werden. In dieser Hinsicht versteht sich die Afrikanistik als Vermittlerin zwischen afrikanisch und europäisch geprägten Lebenswelten mit ihren spezifischen Unterschieden.

Man muss sich bewusst machen, dass alle Menschen in einer Welt leben, in der dieselben Kreisläufe von Geburt, Leben und Tod, dieselben Emotionen der Liebe, Trauer und Freude das menschliche Leben prägen. Alle Menschen teilen ihre Bedürfnisse, Gefühle, Gedanken anderen Menschen durch die Sprache mit, sprechen darüber mit derselben Möglichkeit menschlichen Ausdrucks, mit dem Sprechapparat, d. h. mit Mund, Kehlkopf, Stimmbändern, Rachen, Nase. Das Beeindruckende und Faszinierende daran ist, dass die unterschiedlichen Sprechergemeinschaften dieselbe Natur (Sonne, Mond, Pflanzen, Tiere), dieselben Aktivitäten (laufen, sitzen, tanzen, schlafen), denselben menschlichen Körper (Arm, Bein, Auge, Zahn) unterschiedlich wahrnehmen und klassifizieren. In der Summe dieser Einordnungsvielfalt, die in den Sprachen sichtbar wird, entfaltet sich einerseits die Welt wie in einem Kaleidoskop mit seinen unendlichen Möglichkeiten, andererseits zeigt diese Gesamtheit den Reichtum und die Kraft des menschlichen Geistes, der dem Menschen das Feuer, die Schrift, die Landwirtschaft und die Wege bis hin zum Mond ermöglicht hat.

Faszinierende Unterschiede lassen sich auf allen Ebenen der Sprachen ausmachen. Hier kann, als ein Beispiel, die Einordnung von Nomina nicht nach Geschlecht wie im Deutschen, sondern nach anderen Gesichtspunkten gegeben werden. Diese Gruppen, Nominalklassen genannt, betreffen die Aufteilung der Welt in Menschen und Nicht-Menschen, belebte und unbelebte Objekte oder Dinge mit bestimmter Ausrichtung (länglich, rund). So lauten die Entsprechungen der deutschen Wörter 'der Zahn' (maskulin), 'das Auge' (neutrum), 'die Schulter' (feminin) in der südafrikanischen Bantusprache Zulu 'ili-zinyo', 'ili-so', 'ili-hlombe', die stets mit dem gleichen nominalen Präfix 'ili-', das die Klasse 5 markiert, gekennzeichnet sind. Diese Einteilung in Zulu ist ebenso wenig durchgängig wie die Einteilung der deutschen Wörter nach Geschlecht. In der Klasse 5 sind nicht alle Körperteile zu finden, typischerweise aber gehört dazu 'der Stein' und 'das Blatt'.

Ein anderes Beispiel für ein Feld mit unterschiedlichen Ausprägungen kann aus dem Bereich der Pronomina gegeben werden. Während im Deutschen das 'wir' unabhängig davon gebraucht wird, ob der Angesprochene mit einbezogen ist oder nicht, wird im Noni, einer Bantusprache in Kamerun, bei Einschluss des Angesprochenen ein 'inklusives wir' stehen. Ist der Angesprochene nicht mit einbezogen, sondern andere Person(en), steht ein 'exklusives wir'. Darüber hinaus gibt es kombinierte Formen, die sich danach unterscheiden, wie viele Personen gemeint sind. Sind es nur zwei, wird der Dual (zwei Personen) verwendet, sind es mehr als zwei, der Plural (mehr als zwei Personen), wie in der nachfolgenden Tabelle zu sehen ist.




Sprachbeschreibung und Analyse

Ein zentraler Beitrag des Faches und seiner über hundertjährigen Tradition besteht auch heute noch darin, Grundlagenforschung zu betreiben. Nur ein kleiner Teil der etwa 2000 afrikanischen Sprachen - es handelt sich wirklich um eigenständige Sprachen mit ihren jeweiligen Dialekten - ist bisher dokumentiert und mit dem darin kodierten Wissen beschrieben. Erst diese Beschreibung öffnet der Weltöffentlichkeit den Zugang zu diesem Wissensreservoir. Mit der linguistischen Analyse werden die Voraussetzungen erarbeitet, um die Sprachen, die bisher keiner Verschriftlichung unterworfen wurden, in Schriftsprachen umzusetzen. Damit wird die Grundbedingung zur Alphabetisierung und für einen muttersprachlichen Unterricht in indigenen afrikanischen Sprachen geschaffen. Der Zugang zu Bildung und Wissen ist eine Voraussetzung für die Partizipation am politischen Diskurs und eine der Voraussetzungen für den Kampf gegen Armut, Hunger, Krankheit und Umweltzerstörung, wie auch in den 'Millenium Goals' der UN niedergelegt. Die unmittelbare gesellschaftliche Relevanz dieser sprachpolitischen Aktivitäten zeigt sich in der Anteilnahme breiter Bevölkerungsschichten an der Diskussion um die Rolle und das Prestige der betroffenen Sprechergemeinschaften in den jeweiligen Ländern. Man denke etwa an sprachpolitische Auswirkungen wie den von der UNESCO empfohlenen muttersprachlichen Schulunterricht. Den ethischen Dimensionen von Sprachplanung und Sprachpolitik kommt gerade in Zeiten wiederaufkommender ethnischer Konflikte eine große Bedeutung zu.

Die Afrikanistik hat dabei natürlich auch ihre eigene Rolle zu hinterfragen. Es stellt sich die grundsätzliche Frage nach der ethischen Verantwortung der Disziplin:

Warum beschäftigen sich Europäer mit afrikanischen Sprachen und was für Auswirkungen kann diese Beschäftigung für die afrikanischen Gesellschaften haben? Neben unserer Tradition, Wissen an sich als Wert zu betrachten, haben wir in der heutigen Zeit eine globale Verantwortung für die Reichtümer der Erde zu tragen, nicht nur für materielle Werte, wie z. B. Rohstoffe, sondern vor allein für die Errungenschaften des menschlichen Geistes, für die kulturellen Werte.

Die zweifache Ausrichtung afrikanistischer Lehre und Forschung auf die Dynamik von National- und Verkehrssprachen wie auch auf die Bedeutung und Behauptung von Minoritätensprachen stärkt die Eigenverantwortung der afrikanischen Partnerländer. Die in Bayreuth unterrichteten Sprachen gehören alle zu den großen Verkehrssprachen in Afrika. Gleichwohl werden "kleinere", oft wenig bekannte bzw. völlig unbekannte Sprachen erforscht. Es werden vom Aufgeben bedrohte Sprachen dokumentiert und damit wird ein Beitrag zur ihrer Erhaltung, ihrer Stärkung und Revitalisierung geleistet. Bei allen Aktivitäten, ob große oder kleine Sprachen betreffend, ist die Partnerschaft mit den Sprechern von grundlegender Bedeutung. Durch die gemeinsame Tätigkeit wird deren Bestreben, eigenverantwortlich weiterzuarbeiten, unterstützt.

Bei jedem Kontakt, seien es Forschungsaufenthalte unsererseits in afrikanischen Ländern oder Aufenthalte von Stipendiaten in Deutschland, findet ein Austausch statt, der auf beiden Seiten Veränderungen auslöst. Afrikanische Nachwuchswissenschaftler kommen nach Bayreuth, wo sie ausgebildet und sensibilisiert werden für ihre verantwortungsvolle Position als Vermittler zwischen den Kulturen. Nach der Rückkehr in ihre jeweiligen Wirkungsstätten bringen die als Mittler ausgebildeten Stipendiaten ihre hier gemachten Erfahrungen in ihre Gemeinschaften ein und tragen so zum besseren Verständnis unserer Kultur bei.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Afrikanisten in Forschung und Lehre in diesem Spannungsfeld zwischen Erforschung und Erhalt einerseits, der Ausbildung von Mittlern und Multiplikatoren im Dialog der Kulturen andererseits, bewegen. Es ist die Verantwortung und die Aufgabe der Disziplin, durch die interdisziplinäre Stärkung kultureller Identitäten dem Dialog in der Globalisierungsdebatte eine Stimme zu verleihen. Dabei sind alle Sprachen ungeachtet ihrer Sprecherzahl ernst zu nehmen und Menschen ungeachtet ihrer Herkunft - zur selbständigen Weiterarbeit auszubilden.

Die Beschäftigung mit afrikanischen Sprachen bietet Entwicklungsmöglichkeiten in verschiedene Richtungen, die Raum für transdisziplinäre Forschungsverbünde bieten. Zwei Bereiche können hier stellvertretend genannt werden. Umwelt, Gesellschaft und Sprachdynamik: Dieser Zusammenhang bezieht sich auf die sprachliche Spiegelung von gesellschaftlicher Anpassung an die Umwelt. Die Untersuchung der linguistischen Kodierung der Umweltwahrnehmung beschäftigt sich mit dein sprachlichen Erfassen sowohl der natürlichen Umwelt als auch ihrer Nutzung. Dieser Bereich ist eine sprachwissenschaftliche Ergänzung der kulturellen Ökologie, die das Zusammenspiel der Faktoren Umwelt, menschliches Verhalten und Technologie in Gesellschaften unter spezifischen Bedingungen untersucht.

Sprache, Wissensvermittlung und Entwicklung: Dieser Bereich konzentriert sich auf die Anwendung sprachlicher Strategien in Entwicklungszusammenhängen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die Entwicklungskomponente der sprachlichen Dynamik beinhaltet Sprachpolitik u. a. als Sprachplanung und Sprachstandardisierung und berücksichtigt die Rolle der Sprachen in der formellen und informellen Bildung. Die Dynamik afrikanischer Gesellschaften und ihrer Sprachen ist in den sich rasant entwickelnden neuen Medien zu beobachten.

Die Kenntnis afrikanischen Literaturen bzw. Oraturen und afrikanischer Kunst ist eine weitere Voraussetzung für das Verständnis afrikanischer Wahrnehmungen. Hier können u a. Grundsatzdebatten um Literatur in afrikanischen oder europäischen Sprachen genannt werden, die an linguistische Fragestellungen der Kommunikation durch Sprache anknüpfen. Dafür liegen ideale Voraussetzungen in Bayreuth vor, da hier zum einen der einzige Lehrstuhl für Literaturen in afrikanischen Sprachen in Deutschland eingerichtet ist, zum anderen eine enge Verbindung mit dem Iwalewa-Haus besteht, das von namhaften afrikanischen Künstlern besucht wird und wo deren Werke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Umsetzung und Reflexion künstlerischer Repräsentation afrikanischer Wirklichkeiten durch Medien wie Buch/Print, Film/Video und Musik/CD verbindet Linguistik, Literatur- und Kunstwissenschaft.

Durch die Beschäftigung mit Literatur und Kunst kann die fremde Sprache als Spiegel der eigenen Kultur erkannt werden. Der Versprachlichung von Weltbildern, die z. B. in der Mythologie und Ästhetik zum Ausdruck kommen, steht dabei eine wichtige Rolle zu. Hier zeigen sich Erzähltraditionen, die ungeahnte Übereinstimmungen mit den eigenen Traditionen wie den Märchen von Grimm oder Heldenepen wie dem Nibelungenlied aufzeigen. Die Vermittlung historischen Wissens in Afrika durch Erzähler-Historiker in Überlieferungen kann in diesem Licht seinen Stellenwert für die afrikanischen Gesellschaften wie auch für die Weltöffentlichkeit entfalten.


Anglistik

Das Studium der anglophonen Literaturen Afrikas gehört zur Erforschung postkolonialer Kulturen und befasst sich unter anderem mit den Auswirkungen und Spätfolgen des britischen Kolonialismus in Afrika. Die englischsprachigen Literaturen Afrikas bilden einen Teil des Anglistikstudiums an der Universität Bayreuth - sowohl im BA Studiengang "Anglistik" als auch im MA Studiengang "Intercultural Anglophone Studies" sowie in den Promotionsarbeiten von anglistischen Doktorandinnen und Doktoranden.

Nach dem Ende des britischen Empires Mitte des 20. Jahrhunderts haben zwar die Mehrzahl der von den Briten kolonisierten Länder die politische Unabhängigkeit erlangt, es dauerte aber erheblich länger, bis diese Länder (z. B. Ghana, Kenia, Nigeria und Uganda) die kulturelle und geistige Unabhängigkeit von der europäischen Kolonialkultur erreicht haben. Die kulturellen Einflüsse Großbritanniens waren in diesen Ländern seit der europäischen Aufteilung Afrikas im 19. Jahrhundert über Jahrzehnte etabliert und in den von den Briten etablierten Bildungs- und Verwaltungssystemen wie auch in den kirchlichen Missionen aufgebaut und eingebettet worden. Andere Länder wurden noch tiefer von dem europäischen Machtkampf in Afrika geprägt wie Kamerun, welches bis heute durch die Teilung in englisch- und französischsprachige Gebiete kulturell und sprachlich geteilt ist.

Bei diesem Prozess der kulturellen Befreiung, der von dem kenianischen Schriftsteller Ngugi wa Thiong'o als 'decolonising the mind' bezeichnet wird, hat die Etablierung eigener, vom Kolonialismus unabhängiger Literaturen und Kulturen eine sehr wichtige Rolle gespielt. Afrikanische Schriftsteller haben Romane, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Gedichte in englischer Sprache geschrieben, in denen sie die Geschichte der europäischen Kolonialisierung Afrikas aus ihrer afrikanischen Perspektive neu erzählt haben. Ein Gründertext der postkolonialen anglophonen Literatur Afrikas ist der von dem nigerianischen Autor Chinua Achebe 1958 erschienene Roman 'Things Fall Apart'. Der Roman gibt einen tiefen Einblick in die Kultur des Igbo Volkes im späten 19. Jahrhundert, kurz vor der Ankunft der Briten, die dann schließlich die Länder der Igbo mit anderen benachbarten Völkern als einen Teil des von den Briten ernannten Landes "Nigeria" unterjocht haben - ein Prozess, den Achebe auch in weiteren Romanen beschreibt. 'Things Fall Apart' gehört somit zu den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu erwachenden literarischen Stimmen Afrikas, die ein Gegengewicht zu den kolonialen literarischen Darstellungen Afrikas geboten haben.

Zu Letzteren gehören z. B. die Abenteuerromane von dem Briten H. Rider Haggard (wie 'King Solomon's Mines' 1885), in denen Afrika immer aus kolonialer, eurozentrischer Sicht beschrieben wurde. Hier stand der britische Held und Forschungsreisende im Mittelpunkt der Handlung und afrikanische Figuren spielten nur am Rande eine Rolle. Durch das Erzählen und Schreiben ihrer eigenen kulturellen Geschichte und ihrer Erfahrungen mit dem Kolonialismus in literarischen Werken haben afrikanische Schriftsteller ihre Geschichte und ihre kulturelle Identität zurück gewonnen. Trotz der paradoxen Tatsache, dass sie dieses kulturelle Unternehmen in der Sprache der ehemaligen Kolonialisten unternommen haben, wählen viele Schriftsteller die englische Sprache, weil sie es ihnen erlaubt, ein breites Publikum über die Grenzen ihrer eigenen Länder und Völkergruppen zu erreichen, und somit potentiell für eine weltweite Leserschaft Afrika in den Mittelpunkt einer Erzählung - und auch der Geschichte - zu stellen.

Einen Sonderfall in den anglophonen Literaturen Afrikas bildet Südafrika. Hier spielte die englischsprachige Literatur während der Zeit des Apartheidsystems (unter dem durch die repressive Herrschaft nur die weiße Minderheit für über vierzig Jahre politische Rechte sowie wirtschaftliche und soziale Vorteile besaßen) eine wichtige Rolle, weil es Autoren und Künstlern ein Medium bot, um das System der Apartheid zu kritisieren. Manche Romane (auch von weißen) südafrikanischen Schriftstellern wie Nadine Gordimer und André Brink wurden von der südafrikanischen Regierung während der Apartheidzeit verboten; sie konnten aber im Ausland erscheinen. Das Drama spielte ebenfalls eine besondere Rolle im Kampf gegen die Apartheid. Die Theatergruppe The Serpent Players, gruppiert um den Schriftsteller Athol Fugard und den Schauspielern John Kani und Winston Ntshona, haben mit Stücken wie 'Sizwe Banzi is Dead' und 'The Island' - die in der südafrikanischen Stadt Port Elizabeth uraufgeführt, aber bald auch außerhalb Südafrikas als Teil des weltweiten Anti-Apartheid-Protests aufgeführt wurden - Schlüsseltexte in der Geschichte der südafrikanischen Kritik gegen das Apartheidsystem erschaffen. Heute, gut zehn Jahre nach dem Ende der Apartheid, bildet die englischsprachige Literatur Südafrikas auch ein Medium, in dem die verschiedenen Völker der Rainbow Nation über ihre Sicht des neuen Südafrikas berichten, debattieren und erzählen können.


Romanistik

Die Vermittlung von Wissen aus und über Afrika erfolgt auch in der Romanistik, die sich unter anderem den französischsprachigen Literaturen außerhalb Europas widmet. Ähnlich wie in der Anglistik richtet sich dabei das Interesse auf die Literaturen, die in dem Kontext der Kolonialisierung durch Frankreich und der Entwicklungen nach der Unabhängigkeit ab den 1960er Jahren entstanden sind. Dabei sind gerade die frankophonen Länder Afrikas durch die kulturellen und politischen Organisationen der Frankophonie über Frankreich mit Europa verbunden (ganz abgesehen von den unzähligen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen), auch wenn die Bestrebungen der Ablösung und Abgrenzung und der Suche nach der eigenen Identität große Teile dieses Diskurses bestimmt.

Doch im Zuge der Globalisierung und der Migrationen fordern afrikanische Schriftsteller auch ihre Zugehörigkeit zur Weltliteratur ein: Denn ihre Literaturen sind nicht nur Zeugnisse der afrikanischen Lebenswelten und/oder der Verschränkung zwischen der europäischen und afrikanischen Geschichte und Entwicklungen, sondern auch ein Beitrag zu den Bemühungen, die moderne globalisierte Welt zu begreifen und die Verflechtungen zu überdenken, so dass die afrikanischen Positionen ein wichtiger Bestandteil dieses Diskurses darstellen. Jüngstes Beispiel hierfür ist der kongolesische Autor Alain Mabanckou, der 2006 den renommierten französischen Literaturpreis Renaudot für seinen neuesten Roman erhielt und sich damit hoher Anerkennung über die Grenzen Frankreichs und der frankophonen Länder hinaus erfreuen kann. Zugleich fordert gerade Mabanckou, dass afrikanische Literatur als Beitrag zu einer Weltliteratur betrachtet und damit nicht als ein peripheres oder gar exotisches literarisches Phänomen betrachtet werden sollte.

Die Literatur als ein Ort der Reflexion, des Verhandelns und Diskutierens stellt auch - und gerade - für Afrika damit in jeder Hinsicht ein Sprachrohr von unschätzbarem Wert dar, denn Positionen und Werte, aber auch Ängste und Konflikte aus afrikanischer Sicht gelangen so zum europäischen Leser, der nur allzu oft mit bereits selektierter und kanalisierter Berichterstattung über die Katastrophen Afrikas oder mit exotistischen Dekors für deutsche (und europäische) Fernsehserien und Filme bedient wird. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Literaturen und Kulturen ermöglicht eine Kontextualisierung auch dieser Diskurse, so dass trotz der Zerrbilder Verständigung ermöglicht werden kann. In diesem Sinne ist die Romanistik mit einem Afrikaschwerpunkt in Bayreuth seit Jahrzehnten wegweisend in der Vermittlung und Erforschung der frankophonen, aber auch der portugiesisch- und italienischsprachigen Literaturen Afrikas. Ein Sonderforschungsbereich zu "Identität in Afrika", zahlreiche Kongresse, die namhafte Spezialisten vorwiegend aus dem Ausland in Bayreuth zusammenführten, haben zur Erforschung der Literaturen Afrikas, aber auch der komplexen Beziehungen zwischen Europa und Afrika einerseits und Afrika und Amerika andererseits beigetragen. Die literatur- und kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit den Literaturen Afrikas leistet dabei auf den verschiedenen Ebenen (Forschung, Lehre, Multiplikatoren) einen wesentlichen Beitrag zur Vermittlung der fremdkulturellen Literaturen und damit zu einem interkulturellen Dialog.


Islamwissenschaft

Bereits für das 10. Jahrhundert berichten schriftliche Quellen von Herrschern in Afrika, die sich zum Islam bekehrt haben. Die Geschichte des Islams in Afrika und seine Spezifika nehmen im Rahmen des Afrikaschwerpunktes naturgemäß in der Bayreuther Forschung und Lehre eine zentrale Stellung ein.

Nach islamischer Auffassung ist Gottes Wort nicht Mensch, sondern Buch geworden: Der Koran gilt als Gottes wörtliche und unerschaffene Rede. Die Entwicklung des Islams zu einer Gesetzesreligion hat es dann mit sich gebracht, dass die Theologie im Sinne einer Erklärung und Systematisierung des Glaubens eine vergleichsweise geringere Rolle als etwa im Christentum spielt. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Rechtswissenschaft, wobei Recht (Scharia) eine sehr umfassende Bedeutung hat. Das Leben des Gläubigen soll bis in alle Einzelheiten, bis zu Kleiderordnung, Körperpflege, Umgangsformen und Speisevorschriften geregelt werden.

Um Wesen und Ziele des Islams zu erfassen, um das Anliegen der Muslime überhaupt erst einmal begreifen zu können, ist ein langjähriges Studium der klassischen arabischen Sprache, der Textexegese und der darauf aufbauenden Rechtswissenschaft Voraussetzung, wie auch Studium, Kommentierung und Weitergabe von Texten in klassischer arabischer Sprache immer den Ausbildungsbetrieb in der islamischen Welt gekennzeichnet haben.

Ein weiterer Komplex ist die Anwendung der mit Hilfe der genannten Prinzipien gewonnenen Rechtssätze. Hier ergibt sich ein buntes Bild, da Theorie und Praxis auch im Islam einem Spannungsverhältnis unterworfen sind, zumal der Islam niemals eine Zentralinstanz gekannt hat. Für die historische Erforschung islamischer Lebenswirklichkeiten bieten deshalb Urteile und sonstige Rechtsmaterialien aus der Praxis eine wichtige Quelle. Ein Spannungsverhältnis bestand und besteht aber nicht nur zwischen rechtlicher Theorie und Praxis, sondern auch schon früh zwischen trockener Gesetzesreligion und Mystik, für die anti-nomistische Tendenzen charakteristisch sind: Wer einen persönlichen Draht zu Gott zu haben glaubt, neigt dazu, sich über Vorschriften hinwegzusetzen, auch tun Mystiker, immer misstrauisch beäugt von den Schriftgelehrten, sich im Umgang mit anderen Religionen leichter. All das Gesagte gilt auch für weite Gebiete Afrikas, in denen der Islam südlich der Sahara schon früh Fuß gefasst hat.


Lehre

Die moderne Wissensgesellschaft fordert in zunehmendem Maße Experten mit einem breiten geisteswissenschaftlichen Horizont, die auch über profunde Kenntnisse in einem oder mehreren Spezialgebieten verfügen. Somit ergibt sich in der heutigen Zeit die Notwendigkeit, einen hohen Grad an Kompetenz in verschiedenen Wissensgebieten zu erreichen, so dass deren Grenzen als Verbindungslinien zu anderen Gebieten aufgefasst und somit das interdisziplinäre kreative Denken als Selbstverständlichkeit verstanden und dies als Grundlage des Handelns begriffen werden können. Das Ziel ist, die Wissenskluft zwischen afrikanischer Realität und europäischer Wahrnehmung zu überwinden und dadurch sowohl den interdisziplinären Austausch als auch die fachliche Weiterbildung zu fördern.

Durch die Beschäftigung mit Sprachen werden kulturelle Wahrnehmungsweisen und kulturelles Wissen sichtbar. Erst durch den Umgang mit Kultur sind wir zu bewusstem Handeln und Austausch befähigt. Erworbene praktische und theoretische Kompetenzen können dazu dienen, das Begreifen der anderen, aber auch der eigenen Kultur und somit das gegenseitige Verstehen zu fördern.

Im Bachelorstudiengang "Afrikanische Sprachen, Literaturen und Kunst" wird Studierenden Fachwissen aus dem Bereich der Sprach-, Literatur- und Kunstwissenschaft Afrikas zur Verfügung gestellt. Sie eignen sich Kompetenzen zur Lösung interdisziplinärer geisteswissenschaftlicher Fragestellungen an, die sie zu weitergehenden wissenschaftlichen Arbeiten über die Grenzen der jeweiligen Fachrichtungen hinaus befähigt. Das Studium bildet auch die Voraussetzung für weiterführende Studien.

Das Zusammenwirken von Wissenschaftlern und Künstlern für die Ausbildung, nutzt die bestehenden Ressourcen des Afrika-Schwerpunktes der Universität Bayreuth optimal und stellt dadurch ein einmaliges Studienangebot in Deutschland dar. Dabei wird ein ausgewogenes Lehrprogramm vorgelegt, das praktische Sprachvermittlung und linguistische, literatur- und kunstwissenschaftliche Kompetenzen mit dem Ziel einer Kontextualisierung bzw. Inbezugsetzung von Sprache, Sprachkunst und anderen Kunstformen verbindet. Die exemplarische Kenntnis von drei afrikanischen Sprachen aus verschiedenen Regionen und aus verschiedenen Sprachphyla, zusammen mit dem Wissen um die sprachliche Vielfalt auf dem Kontinent bildet eine der Voraussetzungen für die objektive Wahrnehmung afrikanischer Gegebenheiten.

Der Studiengang setzt den Brückenschlag vom Wissenserwerb zur Wissensvermittlung. Ein wichtiges Anliegen ist es, Multiplikatoren für eine partnerschaftliche deutsch-afrikanische Zukunft zu gewinnen. Menschen mit besonderen - außerhalb des 'main-stream' liegenden - Kompetenzen werden mehr denn je im Dialog der Kulturen gebraucht, um als wirkliche 'Broker' einen Beitrag zur interkulturellen Verständigung für alle Lebensbereiche leisten zu können.

Angesichts des wiederaufkommenden Weltinteresses an Afrika und damit auch an seinen Sprachen, wie es durch die Ausrufung des "Jahres der afrikanischen Sprachen" 2006 zum Ausdruck kommt, ist dringend eine geistige und praktische Kompetenz nötig, um im Dialog der Kulturen einen Beitrag zur interkulturellen Verständigung für alle Lebensbereiche leisten zu können. In den Medien wird Afrika häufig auf eine Einheit reduziert, die Vielfalt afrikanischer Sprachen, Literaturen, Philosophien und allgemein afrikanischer Lebensräume ist kaum repräsentiert. Dabei stellen die Kenntnisse afrikanischer Sprachen und Philosophien eine Ressource für erfolgreiches Handeln auf allen Ebenen dar. Sprache fördert Partizipation und Demokratie ebenso wie die erfolgreiche Bekämpfung von Unterentwicklung und Massenarmut.


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Quelle:
spektrum 1/07, Seite 20-26
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Tel.: 0921/55-53 23, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2007