Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → COMIC

KONTROVERS/012: Comic-Adaption des Berichtes der 9/11-Kommission (SB)


Sid Jacobson und Ernie Colón


The 9/11 Report - Die Comic-Adaption

Basierend auf dem offiziellen Abschlußbericht der "National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States"

Am 11. September 2001 sind 2992 Menschen - die meisten von ihnen Amerikaner, aber auch nicht wenige Bürger zahlreicher anderer Staaten - im Zuge der Flugzeuganschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Arlington praktisch vor den Augen der Weltöffentlichkeit ermordet worden. Statt, wie ursprünglich versprochen, Osama Bin Laden, den Hauptverdächtigen des fernsehgerechten Massenmordes, "in seiner Höhle auszuräuchern" beziehungsweise "tot oder lebendig" zur Strecke zu bringen, hat die Administration von US-Präsident George W. Bush Ende 2001 die Taliban-Regierung in Kabul stürzen und Afghanistan besetzen lassen und 2003 einen illegalen Krieg gegen den Irak vom Zaun gebrochen, der bis heute mehr als 3500 amerikanischen Soldaten und mehr als einer halben Million irakischer Bürger das Leben gekostet hat.

Statt die Hintergründe und den genauen Ablauf der Ereignisse vom 11. September zu untersuchen und sie freizulegen, damit so etwas Schreckliches niemals wieder passiert, hat die Bush-Regierung bis heute nichts anderes als Vertuschung betrieben - aus Gründen der "nationalen Sicherheit" versteht sich. Ein wichtiges Element dieser Vertuschungsaktion war die Arbeit der "unabhängigen" 9/11-Kommission, die erst Ende 2002 auf Druck der Opferfamilien und des Kongresses vom Weißen Haus einberufen worden ist und deren Abschlußbericht im Juli 2004 erschien. Von den Medien hochgelobt, katapultierte sich der 9/11-Bericht auf Platz eins der meistverkauften Bücher in den USA. Der ungewöhnliche Erfolg dieses Sachbuchs und seine für den US-Sicherheitsapparat äußerst schmeichelhafte Darstellung des Kampfes Washingtons gegen den "Terror" erklärt vermutlich, warum der Panini-Verlag sich entschieden hat, ihn als Comic herauszubringen.

Ein weiterer Grund dürfte in der schwindenden Glaubwürdigkeit der offiziellen Version vom 11. September liegen. Die Tatsache, daß sich die ganzen "Geheimdiensterkenntnisse" über die vermeintlich existierenden Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins und Verbindungen Bagdads zum Al-Kaida-"Netzwerk" Bin Ladens, mit denen der Einmarsch in den Irak begründet wurde, als Märchengeschichten für Erwachsene entpuppt haben, hat die Glaubwürdigkeit der Bush-Regierung erschüttert. Inzwischen fragen sich Millionen von US-Bürgern, ob das Weiße Haus sie in Sachen 9/11 nicht genauso hinters Licht geführt hat wie im Fall des Iraks (nicht umsonst zeichnete sich im September 2006 in den USA die Berichterstattung der großen Medien über den fünften 9/11-Jahrestag durch eine regelrechte Diffamierungskampagne gegen die sogenannten Verschwörungstheoretiker aus). Zu dieser Entwicklung haben die zahlreichen Fragen und Widersprüche um den 11. September beigetragen, die in den letzten fünfeinhalb Jahren bekannt geworden sind und die bis heute auf ihre Lösung warten.

Selbst die Schlußfolgerungen der 9/11-Kommission, darunter die wichtigste, wonach der 11. September letztlich das Ergebnis behördlichen Kompetenzenwirrwarrs gewesen sei, gelten angesichts der Faktenlage als umstritten, einige sogar als völlig diskreditiert. In einem Brief, dessen Existenz die New York Times am 18. August 2004 unter der Überschrift "C.I.A. Officer Denounces Agency and Sept. 11 Report" publik machte, tat Michael Scheuer, der Gründer und frühere Chef der Anti-Bin-Laden-Einheit beim Auslandsgeheimdienst der USA, den wenige Wochen zuvor veröffentlichten 9/11-Abschlußbericht als "äußerst enttäuschend" ab. Scheuer, der von der Al-Kaida-"Bedrohung" mehr als jeder andere wissen müßte, warf den Kommissionsmitgliedern unumwunden vor, "diejenigen zu ignorieren, die sich ganz klar der Fahrlässigkeit oder der Pflichtversäumnis schuldig gemacht haben". "Indem sie niemanden verantwortlich gemacht haben, lassen sie diejenige Einstellung stehen, die Amerika den 11. September eingebrockt hat und die unabhängig davon, welche neuen Strukturen geschaffen werden, weiterhin gedeihen wird", so der einstige oberste Bin-Laden-Jäger der CIA.

Inzwischen rücken einige Mitglieder der 9/11-Kommission vom ihrem eigenen Bericht ab. In einem erstaunlichen Artikel, der am 2. August 2006 unter der Überschrift "9/11 Panel Suspected Deception by Pentagon - Allegations Brought to Inspectors General" in der Washington Post erschienen ist, wurde berichtet, bei der 9/11-Kommission sei man während der Untersuchung des 11. September "zu dem Schluß gekommen, daß die ursprüngliche Geschichte des Pentagons, wie es auf die Terrorangriffe von 2001 reagiert" habe, "Teil eines absichtlichen Versuches gewesen sein" könnte, "die Kommission und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen, statt einer Spiegelung der verwirrenden Ereignisse an jenem Tag..." Dazu schrieb der Post-Journalist Dan Eggens weiter:

Nach Angaben einiger Kommissionsquellen erschien der Verdacht auf Missetaten dermaßen begründet, daß die zehnköpfige Kommission bei einem geheimen Treffen gegen Ende ihrer Amtszeit im Sommer 2004 darüber diskutierte, die Angelegenheit an das Justizministerium zwecks strafrechtlicher Ermittlung weiterzuleiten. Die Stabsmitarbeiter und einige Ausschußmitglieder seien der Meinung gewesen, daß E-Mails und andere Beweismittel einen hinreichenden Grund für den Verdacht lieferten, daß sich Beamte des Verteidigungsministeriums und der zivilen Luftfahrtbehörden strafbar gemacht hätten, indem sie falsche Aussagen gegenüber dem Kongreß und der Kommission in der Hoffnung gemacht hätten, die mißratene Reaktion auf die Entführungen zu kaschieren, sagten diese Quellen.

Am Ende habe sich der Ausschuß auf einen Kompromiß geeinigt und die Vorwürfe dem Generalinspekteur jeweils im Verteidigungs- und im Transportministerium übergeben, die, falls sie es für erforderlich hielten, Ermittlungen einleiten könnten, sagten Beamte.

"Bis heute wissen wir nicht, warum NORAD [das North American Aerospace Command] uns das sagte, was es uns gesagt hat", erklärte Thomas H. Kean, der ehemalige republikanische Gouverneur von New Jersey, der den Vorsitz der Kommission innehatte. "Es war dermaßen von der Wahrheit entfernt ... Es war später eines dieser losen Enden, die einfach nicht verknüpft werden konnten."

Von alledem erfährt man in der Comic-Version des 9/11-Berichtes nichts. Statt dessen wird ein Schwarz-Weiß-Bild des verzweifelten Kampfes der amerikanischen Bürokratie gegen einen Haufen fanatisierter Moslem-Extremisten gezeichnet. Als Comic hat man es im "9/11 Report" mit einem absoluten Spitzenprodukt zu tun. Die Zeichnungen sind realistisch und detailliert, die Farbgebung ist dezent-seriös gehalten. Allein das Bild der jemenitischen Hafenstadt Aden, dem Schauplatz des Anschlages auf den US-Lenkwaffenzerstörer Cole im Jahr 2000, läßt erahnen, wieviel Mühe die Beteiligten in dieses Projekt gesteckt haben. Darüber hinaus gelingt es Sid Jacobson und Ernie Colón, mehr als im Originalbericht selbst die hochkomplizierte, offizielle Version des 11. September und dessen Hintergründe stringent und nachvollziehbar zu erzählen.

Nichtsdestotrotz scheint das manichäische Gut-gegen-Böse-Format des Comics keinen Platz für die Fakten zuzulassen, welche auf eine passive oder aktive Verwicklung staatlicher Geheimdienstakteure in die Flugzeuganschläge hindeuten. So wird in Verbindung mit dem Aufenthalt der beiden mutmaßlichen 9/11-Flugzeugentführer Nawaf Al Hazmi und Khalid Al Midhar in Kalifornien im Jahr 2000 hervorgehoben, diese hätten Hilfe aus der King-Fahd-Moschee in Culver City - die auch bildlich dargestellt wird - erhalten. Verschwiegen wird jedoch die Tatsache, daß die beiden Männer in San Diego bei einem FBI-Informanten zur Untermiete wohnten und finanzielle Unterstützung von der saudischen Königstochter Prinzessin Haifa Al Faisal, Ehefrau von Prinz Bandar Bin Sultan Bin Abdul Aziz, dem langjährigen Botschafter Riads in Washington, bekamen (Bandar, dessen enge Freundschaft zur Bush-Familie kein Geheimnis ist, organisierte in den ersten Tagen nach dem 11. September 2001 jene berüchtigten Flüge, mit denen mehr als einhundert Mitglieder der saudischen Oberschicht, darunter der Familie Bin Laden, aus den USA ausreisen und einer allzu eingehenden Befragung durch das FBI entgehen konnten). Auf Anweisung der Bush-Regierung wurden bekanntlich jene Teile des 2003 erschienenen Berichtes des gemeinsamen Geheimdienstausschusses von Repräsentantenhaus und Senat zum 11. September ausgeschwärzt und damit der Öffentlichkeit vorenthalten, welche die zwielichtigen Beziehungen zwischen Riad und Washington tangierten. Auf jenem wenig aussagekräftigen Bericht fußt die spätere Analyse der angeblich "unabhängigen" 9/11-Kommission.

Die gänzlich unkritische Wiedergabe des 9/11-Berichtes findet ihren Höhepunkt in Kapitel 13, in dem es um die Verbesserungsvorschläge der Kommission in Bezug auf die "Terrorbekämpfung" geht. Dort wird als einziger Person im ganzen Comic Donald Rumsfeld eine Seite gewidmet und dessen haarsträubenden Empfehlungen, die letztlich auf eine Militarisierung der US-Gesellschaft hinauslaufen, breitesten Raum gegeben. Eine schlimmere Verhöhnung der Opfer der Flugzeuganschläge hätte man sich nicht leisten können. Nach den schockierenden Ereignissen von New York und Arlington und bis zum Einmarsch in den Irak galt der 11. September als "größtes Versagen" in der Geschichte der US-Geheimdienste. Was den Schutz der USA vor feindlichen Angriffen betrifft, hat tatsächlich an jenem Tag kein anderer mehr als der damalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld versagt, denn wie die 9/11-Kommission konstatierte und es im Comic wiedergegeben wird, war dieser in den entscheidenden Stunden des 11. September "lange Zeit nicht auffindbar". Das muß man sich vor Augen führen. Der gleiche Rumsfeld war es auch, der in der ersten Kabinettsitzung der Bush- Regierung nach den Anschlägen massiv auf einen Angriff auf den Irak drängte, weil das bettelarme Afghanistan der US-Luftwaffe nicht genügend Ziele für ihre Bomben und Raketen bot.

Im Vorwort zum Comic äußern Thomas Kean, der Vorsitzende der 9/11- Kommission, und sein damaliger Stellvertreter Lee Hamilton die Hoffnung, daß "diejenigen, die den Originalbericht nicht kennen, sich von dieser Veröffentlichung ermuntern lassen, mehr über den 11. September herauszufinden". Dem kann man sich nur anschließen.

8. Juni 2007

Sid Jacobson und Ernie Colón
The 9/11 Report - Die Comic-Adaption
Basierend auf dem offiziellen Abschlußbericht der "National Commission
on Terrorist Attacks Upon the United States"
Panini Comics, Nettetal-Kaldenkirchen, 2007
ISBN: 978-3-86607-377-7