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FILM/600: Comic-Verfilmungen zwischen Kommerz und Kitsch (SWH)


Szene WHatcher - Das Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für triviales Entertainment seit 1995, No. 271 vom 11. Oktober 2008

Comic-Helden zwischen Kommerz und Kitsch


Gewiss sind nicht Supermans Kräfte, Batmans Rachsucht, Tims Lauterkeit oder Spider-Mans Konflikte für eine Entwicklung verantwortlich, die Staunen auslöst. Gelten zum einen Comics und deren Protagonisten in vielen Regionen dieser Welt als belächelter Kinderkram, der sich nur mühsam in der Printmedien-Landschaft halten kann, so werden aus den auf Celluloid gebannten Abbildern der Comic-Helden gefeierte Blockbuster an den Kinokassen, die sich von einer Superlative zur anderen schwingen. Würden allerdings nur Comic-Fans in die Kinos rennen, um Batman und Hellboy zu sehen, die Säle wären permanent leer und Comic-Helden-Verfilmungen längst Geschichte. Aber der gefilmte Comic wird in der heutigen, leicht begeisterungsfähigen Konsumgesellschaft zum beliebten Spektakel und so entwickeln sich nicht nur die abflachenden Ansprüche der nach special effects heischenden Massen, sondern auch die kaufmännischen Gespüre der Produzenten, Filmstudios und Lizenzhalter. Mit den einst verpönten Comic-Figuren lässt sich eine Menge Geld machen und keine Nische scheint zu eng, als dass man nicht noch eine Comic-Figur aus ihr herausziehen oder hineinpressen könnte.

Marvel Entertainment wird seine Heldentruppe, um in Japan Animes auf Mobiltelefone zu bringen, in ein sogenanntes Paralleluniversum eintauchen lassen und in Zusammenarbeit mit dem japanischen Animationsstudio Madhouse die speziellen Eigenheiten des Hulk, der X-Men, von Spider-Man und Iron Man an den dortigen Kulturkreis anpassen. Um den fernöstlichen Geschmack zu treffen, werden die Herren Helden wohl ihr äusseres Erscheinungsbild ändern und stark an ihrer persönlichen Hintergrundgeschichte arbeiten müssen. Als erstes werden Iron Man und Wolverine einer Gehirnwäsche unterzogen, aber andere Charaktere sollen mit Hochdruck folgen. Ab Frühjahr 2010 auf japanischen Handys.

Aber auch für die eine oder andere Prozessführung haben sich die Comic-Helden gemausert. Es geht schon längst nicht mehr um die Rückgabe von Originalzeichnungen an veterane Zeichner, sondern um Spitzfindigkeiten in Lizenzverträgen für Comic-Verfilmungen. Die aktuellste Klageschrift liegt derzeit dem Bundesgericht Los Angeles vor, in der die 20th Century Fox der Warner Bros. Entertainment Inc. Verstösse in der Handhabung der Rechte an der Verfilmung des von Alan Moore und Dave Gibbons geschaffenen Kult-Comics Watchmen vorwirft.

Die Grundlage für diesen Zwist reichen zurück bin in das Jahr 1986, dem Entstehungsjahr des genialen Comics, als die Verwertungsrechte erstmalig veräussert wurden. Im Laufe der Zeit haben allerdings nicht nur die Lizenzträger einige Male gewechselt, sondern auch die Vertragslage, die durch Unterverträge, Wendungen und Ergänzungen immer unübersichtlicher wurde.

Einmalig an dieser Klage der 20th Century Fox ist der Umstand, dass Warner den Film bereits vollständig abgedreht und die Premiere bereits für März 2009 angekündigt hat - das Problem ist nur, dass der Prozess erst für Januar 2009 anberaumt wurde. Es liegt auf der Hand, dass aus Zeitgründen alles auf einen Vergleich hinausläuft, z. B. eine Beteiligung an den Einspielergebnissen, sollte die Klage nicht total abwegig sein.

Ein netter Coup, der Warner mit der Pistole auf der Brust dastehen lässt. Mit Comic-Helden lässt sich eben Kohle machen, man muss nur lange genug in den alten Verträgen wühlen. Alan Moore, dem die Vermarktung seines Werkes immer suspekt war, wird's nicht erfreuen oder vielleicht ist es ihm inzwischen piepegal. Ab Frühjahr 2009 im Kino an der Ecke? Den Trailer gibt's vorab schon mal auf www.watchmenmovie.com

Dass sich die Verwurstung von Comic-Helden nicht auf allen Ebenen realisiert, ist fast schon wundersam, besonders, wenn Kostengründe als Ursache genannt werden. So geschehen in Sachen Tintin-Film (Tim und Struppi), dem etliche Fans des Kult-Klassikers von Hergé schon mit Grausen entgegensehen.

Wie die Los Angeles Times heuer berichtete, erschien den Universal-Studios der Kostenvoranschlag der Regisseure Steven Spielberg und Peter Jackson zu hoch. Die beiden Filmschaffenden hatten für den geplanten digital 3-D animierten Film mit den Abenteuern von Herrchen und Hund US$ 130 Mio veranschlagt und damit bei dem Studio auf Granit gebissen.

Als "Weisser Ritter" könnte jetzt Paramount daherkommen und die als Trilogie geplante Reihe produzieren, an deren Konzept Spielberg schon seit vielen Jahren arbeitet, nachdem er 1983 die Rechte an Tim erworben hat. Die beiden Star-Regisseure, die Absagen nicht gewohnt sind, sind an der Entwicklung nicht ganz unschuldig, da ihr Anteil vom Einspielergebnis, das bei weltweit rund US$ 425 Mio. liegen müsste um kostendeckend zu sein, sagenhafte US$ 100 Mio. betragen würde. Ausserdem lässt die Finanzkrise grüssen, deren prominenteste Opfer Spielberg und Jackson aus Hollywood-Sicht werden könnten. Ein weiteres Risiko ist der im Gegensatz zu Europa lächerliche Bekanntheitsgrad von Tim in den USA.

Auf alle Fälle ist der Arbeitsbeginn für den Film Tintin, der bislang US$ 30 Mio. an Kosten für Vorarbeiten verschlungen hat und dessen Drehbeginn für Oktober 2008 angesetzt war, erst einmal geplatzt und hoffentlich begnügen sich die Amis mit der Verfilmung ihres eigenen Comic-Materials. Besser wärs, wenn sie die Finger von europäischen Comic-Charakteren liessen. Hierzulande gibts Tim und Struppi seit über 50 Jahren in jedem gut sortierten Comic-Handel.


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Quelle:
Szene WHatcher - Flyer-Zine der trivialen Szene und Anzeiger für
triviales Entertainment seit 1995, No. 271 vom 11. Oktober 2008
Herausgeber: Joachim Heinkow
Luisenstrasse 32, 12209 Berlin-Lichterfelde
Tel.: 030-768 051 22, 0171-681 74 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2008