Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → COMIC

ANTIQUARIAT/092: "Die Stadt, die es nicht gab" von Enki Bilal und Pierre Christin (SB)


Enki Bilal, Pierre Christin


Die Stadt, die es nicht gab



Die Enkelin des verstorbenen Großindustriellen Hannard sieht sich an die Spitze von dessen Schwerindustriekonzern gestellt. Doch Madeleine Hannard hat durchaus eigene Vorstellungen über die Zukunft des Wirtschaftsgiganten: Im Bewußtsein der von ihren Vorfahren zu verantwortenden sozialen Ungerechtigkeiten verfolgt sie die Vision einer Idealstadt für Arbeiter ...

Text auf dem Rückcover


Die in einer dem französischen Starautor Enki Bilal gewidmeten Werkreihe veröffentlichten Alben "Die Stadt, die es nicht gab" und "Der Schlaf der Vernunft", zu denen Pierre Christin die Szenarios beisteuerte, stehen beispielhaft für die sozialen und politischen Fiktionen, denen sich Bilal und Christin in ihrer Zusammenarbeit verschrieben haben. Das aussichtslose Unternehmen zur Realisierung einer utopischen, einer "besseren" Stadt ist der Inhalt des einen, der Rechtsradikalismus unserer Tage das Thema des anderen Bandes, die als Klassiker der jüngeren Comicgeschichte gelten können.

Die Menschen in der tristen Kleinstadt Jadencourt fristen ein freudloses Dasein im Schatten des Großunternehmens Hannard, dem einzigen Arbeitgeber weit und breit, das den Einwohnern der Stadt nur ein sehr kärgliches Auskommen sichert. Als der verhaßte alte Hannard im Alter von 93 Jahren endlich stirbt, wird seine Enkelin und Alleinerbin Madeleine herbeibeordert. Die Generaldirektoren, die natürlich nur ihren eigenen Vorteil im Sinn haben, meinen, daß sie ein leichtes Spiel mit der jungen Dame haben werden, die seit einem tragischen Reitunfall, als dessen Folge sie nicht mehr richtig laufen kann, zurückgezogen auf einem Gestüt lebt. Doch weit gefehlt. Wie sich herausstellt, ist "die Behinderte", wie sie von den feinen Herren abfällig tituliert wird, weder weltfremd noch zurückhaltend, wenn es darum geht, ihre ganz eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Und die weichen grundlegend von denen ihres Großvaters ab.

Nicht nur, daß sie den Menschen ihr Los erleichtern will, sie will, da sie der Überzeugung ist, daß die Hannards tief in der Schuld der Menschen von Jadencourt stehen, für sie nicht weniger schaffen als ein Paradies auf Erden. Eine Idealstadt soll entstehen, damit die Menschen endlich auch einmal etwas von ihrem Leben haben. Zur Verwirklichung ihres kühnen Projekts setzt sie alle Hebel in Bewegung und zieht zunächst einmal die Generaldirektoren auf ihre Seite; nachdem jeder einzelne von ihnen ein lukratives Angebot erhalten hat, sind plötzlich alle Feuer und Flamme. Auch die zunächst noch sehr mißtrauischen Anwohner lassen sich überzeugen und am Ende harren alle ungeduldig auf die Fertigstellung der gigantischen Kuppelstadt, des neuen Jadencourt. Doch nur allzu schnell stellt sich heraus, daß die Not durch ein anderes Problem ersetzt wurde - jetzt, wo alles im Überfluß da ist, langweilen die Menschen sich beinahe zu Tode. So mancher hält es nicht mehr aus und kehrt der Stadt, die "eigentlich gar nicht existiert", wie sich einer von ihnen ausdrückt, den Rücken ...


*


ENKI BILAL wurde 1951 in Belgrad geboren und kam 1960 nach Frankreich. Er begann sehr früh mit dem Comic-Zeichnen und legte schon im Alter von 14 Jahren den bekannten Autoren Goscinny und Charlier einige seiner Arbeiten vor, die ihn ermutigten, weiterzumachen. Sein Debüt hatte er 1972 in "Pilote" mit der utopischen Geschichte "Le bol maudit", in der er bereits sein ausgereiftes Talent unter Beweis stellte. Seine langjährige Zusammenarbeit mit Pierre Christin begann 1975 mit "La Croisière des Oubliés" ("Kreuzfahrt der Vergessenen"). Mit seinen spannenden SF- und Politthrillern, die er in einer ausdrucksstarken Zeichen- und Maltechnik gestaltet, schaffte Enki Bilal schnell den Sprung zu internationaler Bekanntheit und wurde in Frankreich einer der umworbensten Autoren der 80er Jahre. Seine wohl bekannteste Figur ist "Alexander Nikopol"; der erste, 1981 erschienene Band der Trilogie "La foire aux immortels" ("Die Geschäfte der Unsterblichen") war gleichzeitig das erste Werk, das Bilal vollständig selbst getextet und gezeichnet hat. Enki Bilal macht auch als Regisseur von sich reden, so führte er z. B. Regie bei der Verfilmung von "La foire aux immortels" und bei dem düsteren SF-Thriller "Tykho Moon".

10. Juli 2008


Die Stadt, die es nicht gab
von Enki Bilal und Pierre Christin
Ehapa Comic Collection, 1997
56 S., Hardcover, Überformat, damaliger Preis DM 29,80
ISBN 3-7704-0890-X