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ANTIQUARIAT/043: "Jamiri" von Jan Michael Richter (SB)


Jan Michael Richter


Jamiri, Band 5 und 6

"Dotcom Dummy" und "Hypercyber"



JAMIRI alias Jan-Michael Richter wurde 1966 in Hattingen geboren. Nach dem Besuch "einer dieser Schulen, nach denen ein Salat benannt worden ist", und die er 1985 mit dem Abitur abschloß, schrieb er sich er zunächst für Germanistik, Literaturkomparistik und Philosophie an der Ruhr-Universität in Bochum ein ("Das meinte ich natürlich nicht wirklich ernst. Ich hatte nur leider alle Bewerbungsfristen für das, war ich eigentlich studieren wollte, souverän verschlafen.") Im folgenden Jahr wechselte er an die Uni Essen, wo er Kommunikationsdesign studierte. Nebenbei arbeitete er für diverse Werbeagenturen. 1988 hörte er in einer Kneipe, daß dringend ein Comic-Zeichner für das Bochumer Stadtmagazin "Marabo" gesucht würde. Richter erbot sich, unentgeldlich einige Strips zu zeichnen, die in ihrer Mischung von alltäglichen Geschichten mit autobiographischen Elementen bei den Lesern so gut ankamen, daß bald regeläßige One Pager daraus wurden. "Jamiri" war geboren und beschloß, sein Geld ausschließlich mit Comic-Zeichnen zu verdienen - was zunächst allerdings noch nicht klappte. Nach einer Phase, in der er sich zur Hälfte als Comic-Zeichner und zur anderen Hälfte als Barkeeper durchschlug, kam der Erfolg mit dem Erscheinen seines ersten Albums "Carpe Noctem". Heute gehört Jamiri gehört zu den wenigen deutschen Comiczeichnern, die von ihrer Profession leben können. Beispielhaft wollen wir Ihnen zwei seiner Alben vorstellen:


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Jamiri (5) "Dotcom Dummy"

Aahrgh! In der Internet- und Computersprache gibt es viel zu viel Englisch!!! Warum sagt man nicht "Rechner" statt "Computer"?! "Netz" statt "Web"? "Elektropost" statt "E-Mail"? "Festplatte" statt "Hard Disk"?

A propos Festplatte: Was für ein Betriebssystem läuft eigentlich auf deinem ... äh ... Klapprechner?!

Na, Fenster '98 ... von Winzigweich.

In seinem fünften Album beschäftigt sich Jan-Michael Richter alias Jamiri mit den digitalen Medien und nimmt sie, vor allem aber die aus einer allzu intensiven Beschäftigung mit Computer & Co. resultierendem Begleiterscheinungen unter die Lupe, und inszeniert sie in ebenso treffsicher und pointiert wie zeichnerisch ansprechend gestalteten Onepagern. Wie schon in den bisherigen "Jamiris" sind die Übergänge zwischen seiner Privatexistenz und seinem als "Jamiri" geführten öffentlichen Leben fließend, ebenso wie die Grenzen zwischen Realität und Phantasie. Und so hat Jan-Michael Richters alter ego neben Alltagsbegebenheiten wie sie wohl jeder kennt, auch recht phantastische Erlebnisse, etwa mit einem unter einer Fehlsteuerung leidenden holographischen Facharzt, Computern, die pseudophilosophische Kommentare von sich geben und nicht zuletzt mit seiner langjährigen Freundin (und inzwischen Ehefrau) Beate, die sich als Cyborg entpuppt, zu bestehen. Überhaupt ist Beate eine der wichtigsten Figur aus dem Jamiri-Kosmos, sie bringt den stoppelbärtigen, strubbelhaarigen Selbstdarsteller mit ihren sarkastischen Kommentaren in schöner Regelmäßigkeit immer wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurück.

Stets sind es die ironischen Kommentare, die den Geschichten ihre Würze geben. So ist etwa der blutrünstige Auftritt des muskelbepackten und schwer bewaffneten "Spacejamiri" unter dem Aspekt zu verstehen, "daß die Leute, wenn schon Comics, dann bloß Superhelden-Trash-Heftchen kaufen ...", daher "... gab unser Held, der noch von früher an wissenschaftliches Arbeiten gewöhnte 'Spacejamiri (c)', sich jetzt auch deutlich ... ähm ... martialischer."

Oder "Frank": "Frank hatte aufgerüstet. Dank ISDN und diverser anderer Features schaffte sein Internet-Zugang jetzt bis zu 786 Kilobit in der Sekunde. Franks Gehirn schaffte 28."

Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, daß er durch den steigenden Bekanntheitsgrad seiner Comics inzwischen eine Art öffentliche Person geworden ist, handelt Jamiri ebenfalls in "Dotcom Dummy" ab: "Ja. Ich bin auch Barmann, und ich muß damit leben, wenn Leute wissen, daß ich überdies "der Jamiri mit den Comics bin" ... In seiner Kurzgeschichte taucht kurzerhand "Gott", ebenfalls eine ständig wiederkehrende Figur, auf, der die unangenehmen Lästerer ("Das ist er?!, "Wie klein er ist!", "Ratet mal, was er mit der dicken Uhr kompensieren muß!", "Er kommt auch nicht gerade witzig 'rüber.", "Ich finde ja sowieso, er wird überschätzt." ...) auf unkonventionelle und höchst effektive Weise mit einem geballten Energie- und Flammenbeschuß vernichtet. Anschließend setzt er sich zu Jamiri an den Tresen und meint: "Obwohl, mit der Uhr hatte er irgendwie recht", woraufhin die beiden sich in eine Diskussion über dieses Thema verstricken.

Von Jan-Michael Richters Umgang mit den Eitelkeiten zeugt auch die folgende, "Wiglaf Droste" betitelte Begebenheit:

Guck mal, Wiglav. Die Suchmaschine findet 16 Matches für den Suchbegriff "Jamiri"! Nicht schlecht, was?

Ja ja, dieser Online-Quatsch. Kenn' ich schon ...

Ich gebe mal "Droste" ein. Wow. 18.752 Matches! Das ist ... Wahnsinn!

Das ist wirklich ... hier, kuck, kuck: Match Nr. 7: Diese taz-Kolumne mochte ich immer besonders! Oder hier, Match Nr. 9: Eine "Rolling Stone"-Story vom letzten Jahr."

Tja. Du bist wohl berühmt ...

Oder hier: Match 21 bis 18.752 ...

Spiegel?! Zeit?! Deine Bücher?! Fan-Sites?!?

... Annette von Droste-Hülshoff!

Jan-Michael Richters Geschichten sind nicht nur einen Lacher, sondern auch einer intensiven Betrachtung wert, denn seine köstlich-ironischen Wortbeiträge finden ihre zeichnerische Entsprechung in, trotz allen Sarkasmus, dem Menschen zugewandt beobachteten und gezeicheten Losern wie du und ich.


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Jamiri (6) "Hypercyber"

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Auch das ist ein typischer "Jamiri"-Scherz, illustriert mit zwei von den für ihn ebenso typischen Selbstporträts, die im ersten Panel einen angestrengt lauschenden, im nächsten, als die 'Nummer 4' angesagt wird, einen verdutzt dreinblickenden jungen Mann mit strubbligem Haar und Bartschatten zeigen. Wie in seinen bisherigen Alben sind auch in "Hypercyber" die Übergänge zwischen Jan-Michaels Richters Privatexistenz und seinem als "Jamiri" geführten öffentlichen Leben fließend, ebenso wie die Grenzen zwischen Realität und Phantasie, vor allem seit er ein neues Lieblingsthema gefunden hat: Die Welt der Computer und des Internet. Und so hat Jan-Michael Richters alter ego neben Alltagsbegebenheiten wie sie wohl jeder kennt, mitunter auch recht phantastische Erlebnisse. Seine langjährige Freundin (und inzwischen Ehefrau) Beate etwa, die sich bereits in "Dotcom Dummy" als Cyborg entpuppte, hat manchmal tagelang (wenn sie sauer auf ihn ist) nur eine Auflösung von 72 dpi.

Überhaupt Beate. Sie ist nach wie vor ein wichtiger Quell jamiresker Inspiration und hat, wie der Zeichner in einem Interview (Das große Comic-Lexikon von Marcel Feige, Lexikon Imprint Verlag, 2001) versichert, "mittlerweile ihren Frieden damit gemacht". Sie habe allerdings jederzeit Vetorecht, räumt Jamiri ein. "Wenn sie mit einer 'Beate ..."-Idee nicht einverstanden ist, mach ich sie nicht. Die Sanktionen wären grausam." Demzufolge scheint Beate ebenso mit der Idee zu "Beate, Level 13" einverstanden gewesen zu sein wie mit der zu "Level Z". In ersterem macht sie ihrem Lebensgefährten ernsthafte Vorhaltungen: "O.k. Ich wußte ja vorher, daß ich einen 'Künstler' heirate. Aber daß du in der Ehe zum wahnsinnigen Teichenphysiker mutieren würdest, wußte ich nicht - sieh dich doch mal an!!! - Vidal Sasson hat umsonst gelebt! Du hängst nur noch in dieser Chaostheorie-Newsgroup 'rum und bist dabei längst ein Fall für die anonymen Käsefüße geworden, falls du verstehst, was ich meine ..." Nachdem der Angesprochene seine Angetraute mittels Fernbedienung vorübergehend zum Schweigen gebracht hat, nimmt er das "Beate-Lösungsbuch" zur Hand. "Käsefüße. Migräne. Ja ja, bla bla bla. Aber wie parierte man nochmal diesen blösen Vidal-Sasson-Witz?!?" In "Level Z" fragt Beate, vor dem Spiegel stehend: "Liebling?! Hab ich zugenommen?! Sei ehrlich!" - "Ähm, ich glaub' nicht, äh ... nö ... ich ..." antwortet Jamiri. "GAME OVER" leuchtet eine Schrift auf. Wie sich herausstellt, handelt es sich um ein Videospiel. "Das Perfide an dem Spiel ist: Es gibt keine Lösung! Wer dieses Level betritt, hat verloren!!!" erklärt ein Freund. "Wer sowas programmiert, braucht doch 'nen Psychiater!" meint Jamiri kopfschüttelnd.

45 "Jamiris" beeinhaltet "Hypercyber" - 45 gelungene Onepager, die treffsicheren, aber nicht bösartigem Sarkasmus, gepaart mit einem flotten, realitätsnahen Zeichenstil (Comic-Lexikon: "bunt, aber nicht schrill, detailgenau, aber nicht überfachtet") zeigen. "Hoffentlich wird Jamiri ins Englische und Französische übersetzt. Der Mann könnte uns im Comic-Ausland Respekt verschaffen." heißt es in einem Kommentar. Dem kann man sich nur anschließen.

20. Juli 2007


Jamiri (5) "Dotcom Dummy"
Jamiri (6) "Hypercyber"
Jan-Michael Richter
Carlsen Verlag, Hamburg, 2001/2002
jeweils 48 Seiten, farbig, Softcover, 10,- Euro
ISBN 3-551-76458-1
ISBN 3-551-74819-5