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ANTIQUARIAT/022: "Der Stern der Wüste" von Desberg und Marini


Stephen Desberg, Enrico Marini


Der Stern der Wüste

Band 1 "Helen" und Band 2 "Wakita"



Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist die Handlung der zweibändigen Comic-Erzählung "Der Stern der Wüste" angesiedelt, die in jeder Beziehung das Prädikat "Hervorragend" verdient. Der Ich-Erzähler Matt Montgomery, ein allseits angesehener und respektierter Mann in den besten Jahren mit wichtiger Stellung in Washington, hat auch in seinem Privatleben alles nach seinen Vorstellungen geregelt: Die Woche ist von Arbeit und gelegentlichen Treffen mit seiner Geliebten bestimmt, die Wochenenden verbringt er fernab von Arbeit und Trubel der Großstadt am liebsten auf dem Land. Mit seiner Frau verbindet ihn nichts mehr, nicht einmal die gemeinsame Tochter Helen, der er nicht verzeihen kann, daß sie mit einem jungen Mann durchgebrannt ist, auch wenn sie inzwischen am liebsten wieder in ihr Elternhaus zurückkehren möchte.

Eines Abends ändert sich jedoch schlagartig sein ganzes wohleingeteiltes Leben. Als er nach Hause kommt, findet Matt Montgomery die geschändeten Leichen von Frau und Tochter, die just an diesem Tag heimgekehrt war. Auf der Brust Helens ist ein seltsamer Stern eingeritzt. Seine Bedeutung will der zutiefst erschütterte Vater unbedingt in Erfahrung bringen, denn, so Montgomery: "Wenn diese Schweinehunde sich die Zeit dafür genommen haben, dann hat das einen triftigen Grund!"

Da die Polizei im Dunkeln tappt, ergreift er selbst die Initiative - und stößt auch tatsächlich auf einen vagen Hinweis. Jemand will zwei Männer gesehen haben, der Beschreibung nach Reisende, die kurzfristig in einem Hotel im Zentrum abgestiegen waren, inzwischen jedoch längst wieder abgereist sind. Doch Montgomery hat nun einen Namen, nach dem er suchen kann: Jason Cauldray. Er entschließt sich, den Männern hinterherzureisen. Dieser Cauldray, soviel kann Montgomery noch während der Reise feststellen, scheint ein Mann zu sein, der Angst und Schrecken verbreitet, und auch über den Stern will niemand mit ihm sprechen. Vorerst muß er sich mit einem flüchtigen Blick auf den Mann begnügen, von dem er annimmt, daß er der Mörder seiner Tochter ist ...

Auch der zweite Band hält, was der erste Teil versprochen und begonnen hat: Eine in jeder Hinsicht gelungene Story, in Szene gesetzt in außergewöhnlich ausdrucksstarken, malerischen Bildern. Matt Montgomery findet schließlich den Mörder seiner Frau und seiner Tochter Helen. Am Schlußpunkt eines langen, schmerzhaften Weges muß er jedoch erkennen, daß er selbst ebenfalls an dem Verbrechen beteiligt war, dem am Ende auch seine Frau und seine Tochter zum Opfer fielen.

Immer auf der Spur des skrupellosen Verbrechers Jason Cauldray, der in seinem "Reich" Topeka am Rande der geplanten Eisenbahnlinie mit despotischem Allmachtsanspruch regiert, kommt Montgomery, der seine bürgerliche Vergangenheit abgelegt hat wie einen alten Mantel, der schönen Indianerin Wakita näher, die ihre ganz persönlichen Gründe hat, Cauldray ebenso zu hassen wie er selbst. Sie gibt also eine gute Partnerin ab, auch wenn sie ihre ganz eigenen Ziele verfolgt.

Welche Geheimnisse sich um Cauldrays Herkunft ranken, was es mit dem "Stern der Wüste" auf sich hat und wie nun genau der Schurke zur Strecke gebracht wird, sei hier absichtlich nicht verraten - schließlich soll die Spannung ja erhalten bleiben.

Verraten sei nur eines: Gewissermaßen als Tüpfelchen auf dem "i" bekommt der Leser ein richtig schönes, rundes Happy-End serviert, das der ganzen Geschichte einen beinahe "hollywoodmäßigen" Anstrich verleiht - was im übrigen nicht negativ zu verstehen sein soll. Vielleicht findet sich ja irgendwann ein Regisseur, der den Stoff verfilmen will - aber dann bitte mit Sean Connery, der, wie man ob seiner verblüffenden Ähnlichkeit mit Matt Montgomery bereits vorab studieren kann, für diese Rolle hervorragend geeignet wäre.

Die beiden Bände in Hardcoveraufmachung und Überformat bilden ein edles "Doppelpack", das sich auch als Geschenk für Freunde des Western-Genres hervorragend eignen würde.

Was an diesem Comic besticht, sind die Zwischentöne, die einen gelungenen Kontrast zu der eher actionmäßigen Handlung bieten. Neben den sich überstürzenden Ereignissen findet der Leser Zeit für einen Blick auf winterliche Landschaften oder Spiegelungen in einer Glasscheibe und kann stimmungsvoll kolorierte Abendhimmel bewundern, was in Verbindung mit gekonnt eingesetzten ungewöhnlichen Blickwinkeln - z.B. aus dem brennenden Kamin heraus auf das von flackerndem Licht erfüllte Wohnzimmer oder die von unten gesehenen, betroffenen Gesichter der Umstehenden, als Matt Montgomery nichtsahnend nach Hause zurückkehrt - eine ungewöhnlich dichte Atmosphäre entstehen läßt. Zeichnungen und Story - beide für sich exzellent - bilden zusammen eine Einheit, die diese Comic-Erzählung zu einem nachhaltig überzeugenden Werk werden lassen.


Enrico Marini, 1969 in der Schweiz geboren, machte sich unter anderem mit der Serie "Gipsy" (erschienen bei Feest Comics) einen Namen in der Comic-Szene. "Der Stern der Wüste" entstand in Zusammenarbeit mit dem erfolgreichen Autor Stephen Desberg.


Stephen Desberg und Enrico Marini
Der Stern der Wüste
Ehapa, Stuttgart, 1997
beide 56 Seiten, Hardcover, farbig, Überformat
Band 1 "Helen", ISBN 3-7704-0220-0
Band 2 "Wakita", ISBN 3-7704-0221-9