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ANTIQUARIAT/018: "Die Legende von Bran" von P. Delaby und J. L. Vernal


P. Delaby und J. L. Vernal


Mythen und Sagen (4)

"Die Legende von Bran"



"Die Legende von Bran" ist ein schön erzähltes Album, das in detailliert ausgearbeiteten Bildern mit ansprechender Farbgebung ungewöhnlich viel zu sehen bietet. Zeichner und Autor haben bei der Gestaltung ihrer Geschichte große Sorgfalt aufgewendet. Auf anschauliche Art und Weise stellen sie ihre eigene Vorstellung von "Stammesleben" dar, in der auch ein gehöriger Schuß Mystik und Magie nicht fehlt.

Ein reizvoller Kontrast zur Detailgenauigkeit der Bilder besteht darin, daß durchaus einige Fragen offenbleiben, daß nicht alles, was an mystischen Vorstellungen auftaucht, bis ins kleinste erklärt wird. Die alte Frau, die den Mond besingt, damit er tanzen kann - wer, der Mond oder Bran? Der Vater, der plötzlich als Bär erscheint - wirklich oder "nur" in der Vision des Jungen? Man kann die Bilder auf verschiedenderlei Arten auslegen und das beschäftigt den Leser am Ende mehr, als wenn es nur eine einzige Sichtweise gibt. Auch dadurch, daß darauf verzichtet wurde, genaue geographische und zeitliche Vorgaben zu machen, bleibt der eigenen Phantasie des Lesers Raum.

Obwohl die Aufmachung nicht unbedingt auf Kinder als Zielgruppe schließen läßt, eignet sich ein Album wie "Die Legende von Bran" meiner Meinung nach hervorragend, um gerade auch Kinder auf unterhaltsame und eingängige, weil bildhafte Weise, in einige Vorstellungen der Märchen- und Sagenwelt einzuführen. Das Fantasy- Album macht Lust auf weitere Bände aus der Reihe "Mythen und Sagen", die man mit etwas Glück vielleicht noch antiquarisch erhält. Jung und Alt dürften ihre Freude daran haben; die jüngeren besonders wegen der abenteuerlichen Geschichte, die älteren wegen der esoterischen Komponente. Die Reihe erschien seinerzeit im Splitter-Verlag. Ein Band kostete damals 19,80 DM. Zur Einstimmung schlagen wir "Die Legende von Bran" einmal auf:

Ich gehöre zum Sameh-Clan ... Trotzdem ... bin ich anders als die anderen ...

Der vierzehnjährige Bran hat es nicht leicht. Zum einen ist es sein ungewöhnliches Aussehen, das ihn zum Außenseiter werden läßt - obwohl er der Sohn des Häuptlings ist, sind seine "Sonnenhaare" und die "Schafsmilchhaut" stets Anlaß zu spöttischen Bemerkungen. Alle anderen Clansmitglieder außer seiner Mutter Kara haben schwarze Haare und dunkle Haut. Doch im Moment beschäftigt den Jungen noch etwas anderes. Mit seinen vierzehn Jahren gilt er noch nicht als erwachsener Mann und genießt nicht die Privilegien eines Kriegers. Waffen zum Beispiel darf er lediglich zur Jagd tragen. Bran ist aber viel zu ungeduldig, um "die Zeit der blühenden Stengel" abzuwarten, wenn er als Krieger eingeführt werden soll.

Eines Morgens schlendert Bran, mißmutige Gedanken wälzend, durch das schlafende Lager. Gerade denkt er noch darüber nach, daß es reichlich leichtsinnig von seinem Vater sei, keine Wachen aufzustellen, da vernimmt er in der Ferne Hufgetrappel. Ein Überfall! Das Lager wird angegriffen! Bran gibt Alarm: "Die Tsagai-Nhur! Sie greifen uns an ... Zu den Waffen! Schnell!" Die Männer stürmen aus ihren Zelten, die Frauen bringen sich in Sicherheit. Dank der Warnung treten die Stammesbewohner den Angreifern nicht gänzlich unvorbereitet gegenüber. Könnte sich dieser Überfall obendrein für Bran als die ersehnte Chance erweisen, sich als Krieger zu bewähren?

Ein Tsagai-Nhur, der es auf ihn abgesehen hatte, wurde von Bran schon überwältigt. Da fällt ihm seine Mutter ein. Er eilt zum Häuptlingszelt, wo sein Vater Kiruno mit fünf Angreifern zu tun hat. Bran will ihm zur Hilfe eilen und erledigt einen von ihnen. Doch die gutgemeinte Tat wird ihm schlecht gelohnt. Der Vater ist verärgert, daß der Sohn ihm die Ehre des Sieges geraubt hat. Er beschimpft Bran und schickt ihn zu seiner Mutter. Auch darin sieht Bran eine weitere Schmach, denn er darf das Zelt der Frauen nur betreten, weil er noch als Kind gilt. Kara versucht den zornigen Sohn zu besänftigen. Sie sagt, daß man einen Sieg für sich selbst erringt und nicht, um ihn anderen zu zeigen.

Der Überfall ist beendet. Mutter und Sohn hören, wie Kiruno draußen zu seinen Kriegern spricht. Kein Wort von der rechtzeitigen Warnung Brans, die sie alle vor Schlimmerem bewahrt hat, kein Wort davon, daß der Sohn ihm geholfen hat. Der Häuptling ist nur darauf bedacht, sein eigenes Ansehen zu mehren - etwas anderes hätte Bran auch nicht erwartet.

Doch noch einmal an diesem Morgen wird er zornig, als er einen der Männer mit seiner eigenen Beute, dem Pferd des ersten Angreifers, den er überwältigte, vorbeigehen sieht. Der Mann behauptet, Bran sei zur Zeit des Überfalls ja schließlich im Zelt bei seiner Mutter gewesen, wie es sich für ein Kind seines Alters gehöre. Folglich könne er auch nicht an dem Kampf teilgenommen und somit auch keine Beute gemacht haben. Als Antwort bekommt der Mann einen kräftigen Kinnhaken. Ehe er wieder ganz zu sich kommt, hat Bran sich auf das Pferd geschwungen und reitet nun den Spuren der wenigen Tsagai-Nhur hinterher, die nach ihrem gescheiterten Überfall flüchten konnten.

Der Junge holt die Flüchtigen - vier an der Zahl - recht schnell ein. Als er einen Pfeil anlegt, geschieht etwas sehr Seltsames: Ein Rabe schießt plötzlich von oben herab, auf Bran zu. In diesem Moment scheint sich der Pfeil auf der Bogensehne zu verdreifachen und richtig - drei der Flüchtigen sinken von tödlichen Pfeilen getroffen aus ihren Sätteln. Der vierte reitet nun in einem wilden Angriff auf Bran zu. Doch auch hier tritt der Rabe auf den Plan. Er stößt auf den Kopf des Tsagai-Nhur herab, so daß dieser ohnmächtig vom Pferd fällt. Danach läßt sich der Rabe auf Brans Schulter nieder und verwandelt sich ... in ein Zeichen, in das Symbol eines Raben. Bran fällt in Trance.

Er sieht sich auf einer Ebene, wo er auf einen Felsen zugeht. Als er näherkommt, erblickt er auf dem Stein das Symbol des Raben. Plötzlich steigt der Stein in die Luft; Bran rennt weg, doch der Stein verfolgt ihn. Mit voller Wucht schlägt er ihm an die Stirn und danach noch einmal in den Leib. Bran trägt nun das Symbol des Raben auf seinem Körper ... Der Junge erwacht und sieht sich einem alten Mann gegenüber, der ihn mit den Worten empfängt: "So wurdest du an diesem grauen und tristen Wintertag der Mann des Raben ..."

Wortlos reitet Bran davon. Den gefangenen Feind nimmt er mit sich. Der alte Mann ruft ihm noch hinterher, daß Bran bald, sehr bald zu ihm zurückkehren wird.

Auf dem Rückweg ins Dorf kann der Gefangene in einem unbeobachteten Moment entkommen. Doch Bran erhält noch einmal Hilfe. Ein Baum streckt seine Äste aus und hält den Flüchtling fest. Und wieder ist der Alte da, der Bran nun eine weitere Demonstration seiner Fähigkeiten gibt. Er kehrt - als Rabe - an den Ort zurück, wo Bran die Flüchtlinge stellte. Dort schlägt er - als Mensch - den Toten die Köpfe ab. Der Rabe bringt die drei Köpfe, damit Bran sie mit ins Lager nehmen kann. Nun wird ihn keiner mehr wie ein Kind behandeln.

Im Dorf angekommen, merkt Bran sofort, daß etwas nicht stimmt. Statt ihm zuzujubeln, schweigen alle betreten. Anniki, ein Mädchen, dem Bran offensichtlich sehr zugetan ist, bedeutet ihm verlegen, zur Dorfmitte zu gehen, dort würde er schon sehen, was passiert sei. Was er dort sieht, läßt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ausgepeitscht und gefesselt liegt seine Mutter dort. Kiruno tat es, um sie dafür zu bestrafen, daß sie einen so ungehorsamen Sohn geboren hat. Nun kennt Bran kein Halten mehr. Er stürmt zum Zelt seines Vaters, der ihm in einer Kriegsmaske gegenübertritt. Obwohl sein Sohn ihn töten will, scheint sein Vater dies nicht zu beabsichtigen. Lediglich das Kind Bran soll sterben. "Du sollst sterben, kleiner Bran! Nur so wirst du zum Mann. Dein Gesicht soll zerfetzt werden, damit sich ein neues Mannesgesicht darauf bildet..." Kiruno scheint sich in einen Bären zu verwandeln, der sich auf den Jungen stürzt. Seinen Kopf hat er schon fast im Maul, da stößt Bran ihm sein Messer in den Leib. Der Bär brüllt noch einmal auf, dann sinkt er zurück und Kiruno liegt am Boden. Ist er tot?

Bran fällt wieder in Trance. Er sieht sich Eisbären gegenüber und kämpft gegen einen sechsarmigen Gegner. Der Kopf wird ihm abgeschlagen. Neben ihm sitzt der Rabe ...

Kara und Anniki machen sich große Sorgen um Bran. Sie befürchten, daß er nicht zurückkehren wird von dort, wo er jetzt ist. Sie rufen die Frau des Mondgesangs. Sie sagt, daß Bran voll von Verwünschungen sei, gegen die er sich jetzt wehren müßte. Die alte Frau stimmt ihr Lied an, der Rabe kommt herbeigeflogen und fängt an, den verhexten Vollmond Stück für Stück aufzufressen. Brans Visionen gewinnen nun an Klarheit und Kraft. Sein Schicksal sei es nicht, in einem Sameh-Zelt zu leben ...

... Es ist Frühjahr. Bran, jetzt ein Mann, will von seiner Mutter endlich das Geheimnis seiner Herkunft erfahren. Sie lebte einst in einer großen Stadt, sagt Kara. Doch Städte sind schlecht, bringen Lügner und Tyrannen hervor. Weil die Städte auch den Göttern mißfielen, schickten sie eine riesige Flutwelle, die die Stadt zerstörte. Nur wenige überlebten, unter ihnen Kara und ihr kleiner Sohn Bran. Das versprengte Grüppchen irrte umher, monate-, vielleicht jahrelang, bis es von eines Tages von Kiruno und seinen Kriegern überfallen wurde. Seit diesem Tag war Kiruno Brans Stiefvater, denn er nahm Kara zur Frau. Der geheimnsvolle Druide, der Bran erschienen war, ist ebenfalls einer aus Karas Volk, der klügste von ihnen und, wie seine Mutter sagt, "ein Mittler zwischen Geist, Mensch und den Göttern."

Bran macht sich auf, den Druiden zu suchen. Überall und nirgends sei er, hatte Kara gesagt. Um ihn zu finden solle er gen Norden ziehen, in das Land des Eises ... Dort enthüllt ihm der Druide die Bestimmung seines Schicksals. Er wird Anniki heiraten und ein neues Volk gründen, welches dazu berufen ist, die Städtebauer und Lügner zu bekämpfen. Ein Schwert wird das Symbol sein, das die Männer dieses Volkes eint. Dieses Schwert und der Zauber des Raben werden Bran immer begleiten ...

... Sehr, sehr viel Zeit ist vergangen. Ein junger Mann sitzt am Telefon und fragt sich, warum er beim Telefonieren immer wieder dieses Schwert kritzelt ... Er schneidet die Telefonschnur durch, geht zum Fenster. Ein mächtiger Rabe fliegt heran ...


P. Delaby und J. L. Vernal
Mythen und Sagen (4) "Die Legende von Bran"
Splitter-Verlag
DM 19,80