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ANTIQUARIAT/012: "Donjon" von Joann Sfar und Lewis Trondheim


Joann Sfar, Lewis Trondheim


Donjon (1)

"Das Herz einer Ente"



Vier schwarze Türme, deren höchster von zehn Tagesmärschen Entfernung aus zu sehen ist. Eine versteckte Eisentür inmitten der stinkenden Sümpfe. Endlose, mit Moos und Salpeter bedeckte Gänge. Leitern, Lastenaufzüge, Treppen bis ins Innere der Erde ... Das ist der Donjon. Mein Donjon.

... sinniert der Herrscher des Ganzen, schlicht "Wärter" genannt. Doch das Donjon - eine Verballhornung des englischen Wortes "Dungeon", was soviel wie Kerker oder Verlies bedeutet, ist mehr als eine gigantische Gefängnisanlage. "Wir haben so viel Geld, daß sogar die Bischöfe von Khitai bleich würden. Hinter jedem Stein verbergen sich legendäre Waffen. Fallen, in die selbst Grimmzahn hineintappen würde. Und Monster zu Hunderten: Orks, Broos, Chthonier, Trolle, Vampire. Mörderzwerge. Gorgonen, Werwölfe, Bad Fellows, Maschromms, Endloswürmer, Drachen, alt wie die Zeit ... Und ihr mit euren Sockenköpfen, ihr kommt einfach her und verlangt, daß ich meinen Donjon verkaufe! Ihr spinnt wohl!" Obwohl die beiden Angesprochenen, in blaue Umhänge gehüllte Gestalten mit roten Zipfelkapuzen, dem Wärter zu drohen versuchen, bleibt dieser unbeeindruckt und läßt die vermummten Gestalten von seinem Gehilfen Marvin, einem roten Dinosaurier in voller Kampfmontur, auf dem kürzesten Weg aus dem Donjon hinausbefördern.

Insgeheim ist er aber doch besorgt und konsultiert Gnomonisten, den amtierenden Kristallkugelüberwacher. Dieser soll ihm einen furchtbaren Barbaren oder ein ähnlich kämpferisches Wesen aus den hauseigenen Kerkern rekrutieren, den er auf die mysteriösen Kapuzenköpfe ansetzen will. Gnomonisten wird rasch fündig und präsentiert Abakabar Oktopuss, laut Registrierbogen "Prinz ohne Fürstentum, der mit seiner Sandale Königsgräber aufwühlt". Da er außerdem ausgesprochen stark, mutig und grausam zu sein scheint, ist er der geeignete Mann und soll schnellstens herbeigeschafft werden.

Hier tritt der Enterich Herbert auf den Plan. Herbert ist einer der zahlreichen Angestellten des Donjons und zuständig für die Versorgung der Gefangenen. Als er Abakabars Zelle betritt, die dieser mit einem gewissen Zongo teilt, einem riesigen, über und über tätowierten Wesen mit Wildschweinzähnen und lilafarbener Haut, sind die beiden gerade in ein hitziges Gefecht verwickelt. Unglücklicherweise lenkt Herberts Frage nach Abakabar den Angesprochenen ab, so daß dieser einer neuerlichen Attacke von Zongo nicht schnell genug ausweichen kann und dieser ihm prompt den Kopf abhackt. Nun ist guter Rat teuer. Wo soll Herbert so schnell Ersatz herbekommen? Den Versuch, Zongo als Abakabar auszugeben, gibt Herbert bald wieder auf, denn das tonnenschwere Wesen ist nicht dazu zu bewegen, auch nur einen Schritt zu tun, und noch dazu dumm wie Bohnenstroh.

Dem Enterich bleibt nichts anderes übrig, als selbst in die Kleider Abakabars zu schlüpfen und dessen Rolle einzunehmen - was ihm allem Anschein nach zunächst auch ganz gut gelingt, denn der Wärter scheint den Schwindel nicht zu bemerken. Er erklärt Herbert seine Aufgabe ("Unbekannte versuchen, gegen meine Interessen zu handeln. Du erkennst sie an ihren roten Kapuzen und einem seltsam geflügelten Symbol auf ihrer Brust. Ich will, daß du sie findest und sie alle umlegst.") und schließt einen Vertrag mit ihm ab. Wie Herbert - leider zu spät - feststellt, gehört dazu auch, daß ihm das Herz herausgerissen und im Donjon aufbewahrt wird, bis er von seiner Mission zurückkehrt. Und weil dem Wärter das schmächtige Äußere des vermeintlichen Barbaren denn doch nicht so überzeugend erscheint, schickt er ihm seinen Diener Marvin hinterher, der Herbert bei seinem Auftrag zur Hand gehen soll ...

Wenn man bedenkt, daß wir uns zu diesem Zeitpunkt erst auf Seite 9 des Albums befinden, kann man erahnen, daß noch eine Fülle von Ereignissen auf den Leser einstürmen werden. Herbert und Marvin machen eine Menge mit, bis sie ihren Auftrag erfüllen können, und treffen unterwegs auf eine Unmenge von obskuren Gestalten mit zum Teil phantastischen Fähigkeiten. Da ist zum Beispiel der wuchernde Bulasch, mit dem die Kapuzenwesen den Wärter infizieren. Um den Parasiten zu entfernen, stülpt sein Leibarzt den Wärter kurzerhand um. Dadurch wird dieser zwar gerettet, doch nun wuchert der Bulasch im Donjon weiter und droht, alles unter seinen Fleischmassen zu ersticken. Ausgerechnet in diesem Moment fallen die Kapuzenwesen in den Donjon ein. Alles scheint verloren. Als jedoch durch einen dummen Zufall Herberts Herz in die Tentakelarme des Bulasch gerät, unterwirft sich dieser dem Barbaren wider Willen. Er verschlingt die Kapuzenwesen und verkleinert sich danach freiwillig auf ein annehmbares Format. Der Donjon und seine Bewohner sind gerettet.

In einem unnachahmlichen Zeichenstil, für den die Bezeichnung "skurril" noch arg untertrieben ist, setzte Lewis Trondheim dieses Abenteuer in Szene, das absolut zutreffend "eine überbordende Parodie auf sämtliche Klischees des Fantasy-Genres" genannt wurde. Wer "Donjon" noch nicht kennt, tut gut daran, sich nach einigen Alben dieser Serie umzusehen - Lesevergnügen garantiert!


Joann Sfar / Lewis Trondheim
Donjon (1) "Das Herz einer Ente"
Carlsen, Hamburg, Oktober 1999
48 Seiten, Softcover, farbig
ISBN 3-551-74341-X