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MARVEL-BROKER/014: "Wolverine" - Coyoten, Teil 5


G. Rucka, D. Robertson, L. Fernandes


Wolverine

"Coyoten" (Teil 5)



Wolverine: Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Daß sich die Geschichte des Mehrteilers "Coyoten" aus den letzten paar Bänden in nur wenigen Sätzen zusammenfassen läßt, spricht nicht gerade für eine packende Erzählung:

Logan entdeckte einen Lastwagen voller ebenso toter wie illegaler Einwanderer, die damit über die Grenze geschafft wurden. Als Entlohnung für ihre Passage waren sie von einem Drogenbaron namens Rojas gezwungen worden, Rauschgift mit sich hinüberzuschmuggeln. Wolverine suchte und fand Rojas, der sich als überaus gewissenlose, hartherzige und hochschwangere Frau entpuppte. Und nun, wenig später, kehrte Logan mit einem frischgeborenen Säugling in seinem Armen zurück.

Damit das Neugeborene nicht in staatlicher Obhut endet, rettet Logan es in diesem letzten Teil von "Coyoten", in dem er die Schwester von Rojas überzeugt, daß sie ihre Nichte mit in die Familie aufnimmt.

Wie in den meisten Geschichten des Wolverine-Autors Greg Rucka, zieht sich der klassische Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Spannungsbogen, welcher Teil von beiden in unseren Titelhelden obsiegen wird - ist es die Bestie "Wolverine" oder der Mensch "Logan" - wie ein roter Faden durch die Handlung. Zumindest scheint sich der Lonesome Cowboy in jenem inneren Krieg zu befinden, und so benötigt er auch hin und wieder eine kleine aufbauende Bestätigung seiner wenigen, flüchtigen Bekanntschaften, die Bestätigung, daß er ein "ehrenhafter Mann" ist, wie seine Bekannte Cassie ihm attestiert. Das hilft ihm, sich für kurze Zeit als anständiges Mitglied der sozialen Wertegemeinschaft in die Gesellschaft einzufügen. Das Bedürfnis nach menschlicher Geborgenheit und einem Partner, der einen liebt, ist bei Wolverine genauso stark ausgeprägt wie bei den meisten anderen Menschen auch. Und doch ist es nie unser Schweigsamer, der Kontakt zu seinen Mitmenschen aufnimmt, sondern vielmehr sind es die anderen, wie Cassie, die ihn in seiner Ruhe stören. Seine Möchtegern-Freundin knüpft den Kontakt jedoch an eine kleine Bedingung und fordert von ihm: "Ich will keine Bestie. Komm erst zu mir, wenn du bereit bist, ein Mensch zu sein."

Der alten Frage, was den Menschen ausmacht und ob ein Mensch ein Mensch ist oder eine Bestie, kann im Comic natürlich nicht wirklich nachgegangen werden, und so bleiben die üblichen Klischees und Lösungen übrig, welche die eigentlich spannende Frage zum Verdorren bringt, lange bevor sie gekeimt ist und sich aus dem Staub erhoben hat, um sich weiter zur vollen Blüte zu entwickeln und den nächsten Keim der Frage heranreifen zu lassen. Logan vollbringt also seine gute Tat und darf als Belohnung Cassie am Abend besuchen. Schon wird der Schmerz mit der Decke der spießigen Bürgerlichkeit verhüllt und verborgen, der Schmerz, der einen daran erinnert, was man ist und daß man nicht bereit ist, es zu akzeptieren, der Schmerz, der einen nicht ruhen läßt, es sei denn, er wird zugedeckt durch süßes Versprechen von Liebe und Geborgenheit, wie am Ende der ersten Story. Und genau dieser biedere Verlauf und seine Absehbarkeit sind der einzig fesselnde Teil der Erzählung - indes, es handelt sich um Fessel der Gewöhnlichkeit und Langeweile.

Auch der zweite Teil des Heftes mit dem Titel "Träume" greift die innere Zerrissenheit Logans auf und wechselt zwischen dem archaischen und dem gezähmten Wolverine hin und her, wobei die Story von Fragmenten beliebig wirkender Andeutungen nur so strotzt. Damit soll wohl in erster Linie der eingefleischte Fan angesprochen werden, der vielleicht diesen kruden Anspielungen folgen kann. Und wieder führt Greg Rucka den Leser auf das alte Problem von Logan zurück, der im sprichwörtlichen Kampf mit sich selbst feststellt: "Ich fühle nichts", worauf der archaische Wolverine nur sagt: "Genau." Auch hier wird auf die innere wie äußere Kälte des Titelhelden hingewiesen, nur kommt dabei ein Aspekt zum Tragen, der ansonsten kaum angesprochen wird. Als Wolverine nämlich im Traum auf Jean, der Telepathin der X-Men, trifft, spricht sie mit ihm und stellt am Ende fest: "Hörst du mir eigentlich zu?"...."Nein, du hörst nicht zu"... "Nie hörst du zu."

An dieser Stelle wird das ganze Ausmaß von Wolverines Schmerz deutlich, den eigentlich ein jeder Mensch hat: Er ist allein. Er leidet unter der Einsamkeit, und dennoch bevorzugt er das Schweigen und spricht nicht, denn um zu sprechen, müßte er zuerst hören. Und um zu hören, müßte er den anderen wichtiger nehmen als sich selbst. Ein schwieriges Unterfangen für alle Eigenbrödler und Lonesome Cowboys dieser Welt. Und damit der Leser mit solchen Überlegungen erst gar keine Berührung bekommt, läuft die Geschichte unter dem Titel Alptraum und endet damit, daß Wolverine behauptet, er habe nicht geträumt - damit er genau das weitermachen, was er immer schon gemacht hat: zu schweigen.

Euer Marvel-Broker


Wolverine 10
Autoren: G. Rucka, D. Robertson, L. Fernandes
Panini, Stuttgart, Oktober 2004
52 Seiten, farbig, Heft, 3,65 Euro